Mondlaeufer
Silberschale auf ihrem Tisch zurück, wo er ihn gefunden hatte. Er blieb so lange wie möglich, um ihr eine gute Nacht zu wünschen, und kehrte dann in sein eigenes, kleines, fensterloses Zimmer zurück.
Seine Reaktion setzte erst ein, nachdem er die Tür geschlossen hatte. Er setzte sich auf sein Bett. Die Kammer war vom Schein des Kohlenbeckens erhellt, das für Licht sorgte, aber auch sommers wie winters die Feuchtigkeit vertrieb. Fast wäre er heute Nacht erwischt worden. Er wollte nicht daran denken, was Andrade mit ihm gemacht hätte, wenn sie seine wahre Identität und sein eigentliches Ziel hier entdeckt hätte – ganz zu schweigen davon, dass er Hollis dranath süchtig gemacht hatte.
Aber man hatte ihn nicht erwischt. Gut, er hielt jetzt zwar nicht die Sternenrolle in der Hand und galoppierte nicht zu Mireva nach Norden. Doch wenn Andry seine Idee weiterverfolgte und sich von »Sejast« bei den Rollen helfen ließ, dann war etwas viel Besseres geschehen. Er konnte freien Zugang zu ihnen bekommen und mehr lernen, als Mireva je geahnt hätte – sicherlich mehr, als sie ihm je von diesem gefährlichen Wissen beibringen würde. Ruval war derjenige, den sie in die geheimeren Bereiche der Kunst einweihen wollte; Ruval, dessen einziger Vorzug darin bestand, dass er Ianthes Erstgeborener war.
Ianthes dritter Sohn saß mit angezogenen Knien da und grinste. Er war froh, dass er die Schriftrollen nicht hatte stehlen können und jetzt hierbleiben musste. Wenn er seine Sache gut machte, würde er lernen, was in der Sternenrolle stand, und dazu noch all die Faradhi -Geheimnisse, die man ihm täglich beibrachte. Vielleicht würde er sogar in Andrades Gefolge zum Rialla reisen. Hollis mochte ihn, und sie kam nicht mehr ohne ihn aus. Sie würde Andrade bitten, ihn mitzunehmen.
Wozu warten? Wenn er erst dort war, würde er selbst den Hoheprinzen herausfordern.
Riyan presste sich eng an einen Baum, als Kiele auf ihrer Stute vorbeigaloppierte. In der Stille der Nacht hatte er die fernen Schreie deutlich gehört und hatte sich gerade noch rechtzeitig in den Wald drücken können, um ihr auszuweichen, als er zu dem kleinen Haus zurückrannte.
Als er ankam, war alles still und verlassen. Riyan beobachtete das Haus eine Zeit lang heftig zitternd aus einer Deckung heraus, ehe er sich ihm schließlich näherte. Die Tür war nicht verschlossen. Er trat vorsichtig ein, doch es war niemand da. Es gab Spuren, dass jemand hier gewesen war, und Spuren eines überstürzten Aufbruchs.
Wieder draußen, umkreiste er das Haus auf der Suche nach einem Hinweis, was sich hier abgespielt haben mochte, doch er fand nichts. An einer Mauer waren Erde und Gras zertreten, aber das konnte die Stute getan haben. Kleve war spurlos verschwunden.
Mit wachsender Verwirrung durchsuchte Riyan nochmals das Haus. Er entdeckte Essen, benutztes Geschirr, ein zerwühltes Bett und einige Kleidungsstücke, die einem großen Mann von athletischem Körperbau passen mochten. Als er wieder im Freien stand, blickte er zu den Monden empor. Er hätte gern ihr Licht benutzt, um das Land nach Kleve abzusuchen. Doch die Erinnerung an Andrades Warnung brachte ihn davon ab, ebenso Kleves Versprechen, ihn morgen bei der Goldschmiedin zu treffen. Riyan sah auf seine vier Ringe hinab und fühlte sich verraten. Genug Wissen, um Sonnenlicht zu weben, doch nicht genug für die Monde, die er jetzt so dringend brauchte.
Er kehrte in die Residenz zurück und schlüpfte mit der ersten Dämmerung in sein Zimmer. Trotz seiner Unruhe schlief er ein paar Stunden tief und fest und war dann rechtzeitig für die Verabredung bei der Goldschmiedin.
Doch Kleve kam nicht.
Kapitel 15
Im hohen Sommergras schob sich Sioned auf einen Hügel vor. Ein leichter Wind von der Brochwell-Bucht her zerzauste ihr die Haare. Einige Strähnen hatten sich bereits gelöst. Die Sonne stand hinter ihr, sodass sie zu einem Schatten wurde, den niemand erkennen konnte – ein Trick, den ihr wüstenerfahrener Gatte ihr gezeigt hatte –, während sie beobachtete, was unten im Lager vor sich ging, wo fast neunzig Zelte elf unterschiedliche Farbgrüppchen bildeten. Doch das Grundmuster jeder Gruppe war überall sehr ähnlich: Der große Pavillon des Prinzen stand inmitten der kleineren Zelte seiner Vasallen, Berater und der Dienerschaft. Ihr eigener Pavillon war ganz aus blauer Seide und von immenser Größe – Prinz Zehavas letzte Extravaganz vor seinem Tod – und besetzte den besten Platz an einem Hang
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