Mondlaeufer
bereits ihrem Bruder entgegen, wobei sie Pferden, Gepäckwagen und seinen Bediensteten in ihrer türkisen Kleidung ausweichen musste. Nach dem Tod ihres nahen Verwandten Jastri in Roelstras Krieg gegen Rohan war Davvi Prinz von Syr geworden. Obwohl er nicht dazu geboren war, hatte sich Davvi als fähiger Herrscher und zuverlässiger Verbündeter erwiesen – aus freundschaftlichen und pragmatischen Gründen wie auch wegen ihrer Blutsbande.
Er gab gerade Anweisungen, wie die Zelte aufzustellen waren, und wandte sich um, als seine Schwester seinen Namen rief. Bis auf die grünen Augen, die aufblitzten, als er sie in die Arme schloss, sahen sie sich kaum ähnlich. »Welch ein Anblick: unsere Höchste Prinzessin! In den ältesten Reithosen, ungekämmt und mit dreckigen Stiefeln: Du bist eine Katastrophe, Sioned!«
Sie schnitt ihm ein Gesicht. »Das ist wohl kaum die richtige Begrüßung für eine Höchste Prinzessin! Du siehst gut aus, Davvi! Du hast ein bisschen zugelegt, aber das steht dir ganz gut.« Sie piekste ihn spielerisch in den Bauch.
»Uff! Das weise ich zurück!« Er zwickte sie ins Kinn und lachte wieder. »Aber schau nur, wen ich mitgebracht habe, Sioned.«
Sie drehte sich um und sah Kostas und Tilal hinter sich. Nachdem sie die beiden umarmt hatte, trat sie zurück, um sie anzusehen. »Davvi, wie hast du nur so prächtige Söhne zu Stande gebracht? Die Göttin weiß, dass du nicht so ansehnlich bist. Kostas, du wirst immer mehr zum Prinzen. Und Tilal, bist du eigentlich noch größer geworden?«
»Nicht, wenn du nicht geschrumpft bist«, gab er zurück. »Ich weiß jedenfalls, dass du noch schöner geworden bist. Nicht wahr, Kostas?«
»Es ist wirklich all den anderen Frauen auf dem Rialla gegenüber unfair«, antwortete der ältere Bruder mit bekümmertem Kopfschütteln.
»Spart euch eure schönen Reden für die Mädchen auf, denen ihr beide das Herz brechen wollt«, entgegnete sie.
Sie waren wirklich ein schönes Paar. Tilal war etwas größer, sein Gesicht mit den eindrucksvollen, grünen Augen wurde von glänzend schwarzen Locken umrahmt. Kostas stand seinem Bruder im Aussehen in nichts nach; sein gewelltes braunes Haar war weich von den fast schwarzen Augen zurückgestrichen, und sein fester, muskulöser Körper war an den Schultern etwas breiter, an Taille und Hüften jedoch ebenso schlank wie der von Tilal. Sioned änderte ihren Plan, auf Tilals Eroberungen zu wetten, dahingehend, dass sie Kostas miteinbeziehen musste. Angesichts der beiden musste jede unverheiratete Frau in fünfzig Längen Abstand in helle Aufregung geraten. Sioned grinste und sprach ihren Gedanken auch laut aus.
Davvi schnaubte dazu. »Sie sind schon eingebildet genug, vielen Dank. Mach das nicht noch schlimmer! Lass uns spazieren gehen, während sie zur Abwechslung mal ehrliche Arbeit leisten und dabei helfen, unser Lager aufzubauen. Wir können dabei auch gleich alle Neuigkeiten austauschen.«
Sie nahm Davvis Arm und ging mit ihm zum Fluss. Aus elterlichem Stolz sprachen sie eine Weile über ihre Kinder, als sie am Ufer entlangliefen. Heute Abend sollte es in Davvis Zelten und auf sein Betreiben hin ein Essen für die Familie geben. »Du hast schon genug um die Ohren; da brauchst du nicht noch mit ansehen zu müssen, wie meine zwei Vielfraße die Hälfte eurer Vorräte vertilgen.«
»Auch gut. Aber ich bring’ den Wein mit. Und jetzt sag mir, was los ist.«
»Merkt man’s mir so deutlich an? Also gut. Ich brauche deine Meinung und deinen Rat, Sioned.«
»Das klingt ernst.«
»Ist es auch. Du weißt, dass Wisla immer wollte, dass Kostas Gemma heiratet und dass beide sich stets dagegen gesträubt haben. Zuerst dachte ich, dass es wegen ihrem Bruder Jastri sei. Aber ich habe auch dafür gesorgt, dass sie als Prinzessin von Syr behandelt wurde und weiter im Haus ihrer Kindheit leben konnte. Wir haben alles für sie getan, was wir konnten, haben ihr sogar eine Mitgift gestellt, falls sie jemand anderen als Kostas wählt.«
»Aber jetzt ist sie auf einmal Chales Erbin, und ihre Mitgift ist ganz Ossetia. Ich fange an zu verstehen. Aber sprich weiter.«
»Es ist ziemlich klar. Gemmas Mutter war Chales Schwester, und derjenige, den sie heiratet, wird Prinz von Ossetia. O Göttin, all diese Erbgeschichten! Bilde ich es mir nur ein, oder ist es wirklich schlimmer als alles, was früher los war? Apropos, was ist eigentlich mit diesem angeblichen Sohn von Roelstra?«
»Später«, sagte sie und schüttelte den Kopf.
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