Mondlaeufer
reinen Aberglauben abtun. Rabias drei Töchter waren völlig gesund, und Kieles Kindern ging es gut. Und Ianthe … Sioned nippte an ihrem Wein, um den bitteren Geschmack hinunterzuspülen, der beim Gedanken an Pols Mutter jedes Mal in ihr aufstieg. Ein Fluch, so ein Unsinn.
Immerhin aber waren von den achtzehn Töchtern von Roelstra und seinen zahlreichen Geliebten nur noch sieben am Leben, überlegte sie, als sie sich zu Lleyn, Chale und Clutha gesellte.
Erst da fiel ihr auf, dass Naydra in ihrer Aufzählung Chiana nicht erwähnt hatte.
Am nächsten Morgen erwachte Sioned früh durch Begrüßungsrufe, klirrende Pferdegeschirre und die laute Frage ihres Gatten, warum sein faules Weib denn so spät noch schlafe. Sie dachte gerade noch daran, sich einen Umhang überzuwerfen, ehe sie aus dem Pavillon und direkt in seine Arme stürzte.
»Rohan! O Schatz, ich habe dich so vermisst!« Sie hielt ihn fest in den Armen und grub ihr Gesicht in seinen Hals. Er roch nach Schweiß, Leder und Pferd – ein himmlischer Geruch, wenn man sie gefragt hätte.
»Beim Herrn der Stürme, Weib, lass mir Luft! Und zieh dir was an, du erregst ja Aufsehen!« Er lachte und drückte sie enger an sich.
»Ach, sei still«, sagte sie und hinderte ihn geschickt an weiteren Bemerkungen, indem sie seine Lippen für sich beanspruchte. Als sie fand, sie hätte ihn genug begrüßt, ließ sie los und meinte: »Jetzt fallen wir beide auf. Als wenn dir das etwas ausmachen würde!«
»Ich bin überrascht, dass noch nicht das ganze Lager zum Zuschauen aufmarschiert ist.« Er küsste sie wieder.
Maarken stupste Pol an. »Los, hol sie alle her, dann verkaufen wir Eintrittskarten. Zwei Münzen pro Nase, das teilen wir dann halbe-halbe!«
Rohan ließ sie los, und sie wandte sich ihrem Sohn zu. Sein Lächeln zeigte, dass er älter geworden war, und spiegelte wider, was er in diesem Sommer erlebt hatte, wo sie getrennt gewesen waren. Und er war bestimmt gewachsen. Sie streckte die Arme aus, er kam zu ihr, und sie drückte ihre Wange in sein sonnenhelles Haar. Als er sich zu winden begann – denn er war jung genug, sich noch nach einer Umarmung zu sehnen, aber auch alt genug, um sich seiner Würde bewusst zu sein –, ließ sie ihn frei und sah Pandsala schweigend und wachsam dastehen. Sioned lächelte die Prinzessin an.
»Was um alles in der Welt habt Ihr ihm in der Felsenburg aufgetischt? Er ist größer geworden – und aus seiner Tunika schon wieder herausgewachsen!«
Pandsalas Augen lachten, und sie trat vor, um Sioned die Hand zu geben. »Das machen die frische Bergluft und die Sonne, Hoheit. Ich freue mich, Euch zu sehen.«
»Ich freue mich auch. Und Ihr seht gut aus, und das, obwohl Ihr meinen Jungdrachen zu Besuch hattet.« Sie sah Pol an. »Hast du irgendwelchen Ärger gemacht?«
»Er war ein sehr angenehmer Gast«, sagte Pandsala weich. »Die ganze Prinzenmark ließ ihn nur ungern gehen.«
Pol blickte so selbstgefällig drein, dass Sioned beschloss, seine Würde hätte einen heilsamen Dämpfer verdient. »Keine Streiche, keine Eskapaden, kein Ungehorsam? Das kann ich einfach nicht glauben! Ihr müsst mir verraten, wie Ihr ihn in ein vernünftiges Wesen mit Manieren verwandelt habt, Pandsala.«
»Mutter!« Pol erhob Einspruch, und Sioned lachte. »Ich war ein sehr guter Gast!«
»Das ist wahr, Hoheit«, stand ihm Pandsala bei.
»Sie kann dir alles erzählen, wenn wir es uns bequem gemacht haben«, erklärte Rohan. »Ich vermute, du kannst uns allen ein Bad, ein Bett und ein Frühstück anbieten, während Pandsalas Zelte aufgebaut werden?«
»Das wird alles schon vorbereitet, seit ihr hier aufgetaucht seid«, beruhigte sie ihn. Dann sagte sie zu der Regentin: »Prinzessin Tobin stellt Euch ihr Zelt zur Verfügung. Ihr wollt Euch sicher ausruhen, solange Ostvel mit Eurem Kämmerer Euer Lager errichten lässt.«
»Danke, Hoheit. Das nehme ich gern an.« Sie verneigte sich und zog sich in Begleitung einer Zofe zurück, die nicht von ihrer Seite wich.
Schließlich trat Maarken vor, um Sioned zu begrüßen. »Ist Andrade schon angekommen?«, flüsterte er ihr ins Ohr.
»Heute noch, vielleicht auch erst morgen. Ich habe unsere Wette übrigens nicht vergessen.« Sie trat zurück und lächelte ihn an. »Deine Eltern werden dich sofort sehen wollen. Und Sorin ist schon einige Male von Volog herübergekommen, um nach dir zu fragen.«
»Sorin? Oh, natürlich! Er wird ja in ein paar Tagen zum Ritter geschlagen.« Maarken drehte sich zu einem
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