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Mondlaeufer

Mondlaeufer

Titel: Mondlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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Kleidung wurde erst vor Kurzem gefärbt – und das nicht besonders gut. Siehst du, wie deine Hände verfärbt sind? Warum sollten sie überhaupt so öffentlich ihre Farben zeigen? Das ist doch sonst nicht die Art der Merida.«
    »Du hast gute Augen«, gab Ostvel zu. »Aber wenn nicht Merida, wer sind sie dann?«
    »Fragen wir ihn doch einfach.« Rohan stieß den Mann mit der Stiefelspitze ans Bein. »Lass ihn in unser Lager bringen, und lass ihn trocknen. Und du kannst sicher auch trockene Kleider vertragen, Ostvel, sonst stirbst du an Unterkühlung. Lass auch den Toten hinbringen«, fügte er noch hinzu.
    »Tot?« Pol blickte zur Brücke.
    »Ja. Ohne jeden Zweifel.« Sioned fühlte das dringende Bedürfnis, ihren Sohn ans Herz zu drücken, um ihn vor allem Hässlichen und Verderbten in der Welt zu beschützen. Sie begnügte sich damit, ihm mit den Fingerspitzen über die Schulter zu streichen. »Hilfst du mir den Hang hoch, Pol?«
    Er legte ihr den Arm um die Taille, sodass sie durch seine Nähe, die Wärme und die lebendige Stärke neben sich getröstet wurde. Unerprobt, ungeprüft, unverwundet – doch nach diesem Sommer war er schon fast so groß wie sie. Bald würde er ein Mann sein. Man versuchte nicht, Männer vor dem Leben zu schützen. Schon gar nicht Prinzen.
    Sie hörte Maarkens Anordnung, flussabwärts nach der Leiche des Ertrunkenen zu suchen. Sie hörte Ostvels Husten, die wimmernden Einwände des Mörders und das Gemurmel der Menge, die sich langsam auflöste. Doch die Stimme ihres Mannes hörte sie nicht, und als sie oben am Uferhang angekommen war, drehte sie sich suchend um.
    Er stand reglos an der Brücke, als mehrere Männer die Leiche aufhoben und die Stufen hinuntertrugen. Rohan sah hoch, und Sioned las in seinen Augen den gleichen müden, hilflosen Zorn.
    Er schloss sich ihr und Pol an, der schließlich das lastende Schweigen brach. »Ich habe noch nie gesehen, wie gut du mit deinen Messern umgehen kannst, Vater.«
    Rohan sah ihn kaum an, als sie zu ihren Zelten gingen. »Das kann ich gut, nicht wahr?«, fragte er mit einer Bitterkeit, die Sioned verstand, Pol jedoch nicht. Die Wangen des Jungen wurden rot, und er presste seine Lippen aufeinander. Rohan zuckte mit den Achseln. »Jeder Dummkopf kann mit einem Messer umgehen, Pol. Es ist sehr direkt und wird heldenhaft genannt. Aber das Ergebnis ist selten die Mühe wert.«
    Maarken hatte nie viel für Alkohol als Stärkungsmittel übrig gehabt und sah eher auf Leute herab, die bei einer Aufregung gleich zur Flasche griffen. Doch an diesem Abend lernte er den Wert eines Weinglases zu schätzen. Er saß allein in der zunehmenden Dämmerung und hieß die trügerische Stärke des syrenischen Weins willkommen, die durch seine Adern floss. Nachdem er den Ermordeten gesehen hatte, hatte Maarken eine Stärkung nötig.
    Dabei hatte die Leiche gar nicht so schrecklich ausgesehen, sagte er sich, als er sich nachschenkte. Das Messer hatte dem Mann unglaublich geschickt die Kehle durchtrennt, und es war ein rascher Tod gewesen. Maarken war jünger gewesen als Pol jetzt, als er im Krieg viel schlimmere Dinge gesehen hatte: Schlachtfelder, auf denen Männer und Frauen in Stücke gehackt worden waren, sodass sie kaum noch als Menschen zu erkennen waren. Er hatte wirklich viel Schlimmeres gesehen.
    Er erhob sich und lief in dem Zelt hin und her, das ihm als fast schon offizieller Herr von Whitecliff zustand, und merkte, dass seine Beine ihn nicht besonders gut trugen. Er trank mehr Wein. Irgendwie hatte ihn dieser Mord sogar noch mehr aufgewühlt als der tragische Tod von Maeta bei der Felsenburg. Den ganzen Frühling und den ganzen Sommer über hatte er von den Schwierigkeiten gewusst, vor denen sein Onkel stand, doch der Anblick dieser grünäugigen Leiche machte ihm die Gefahren auf einmal beklemmend bewusst. Seine eigenen Sorgen waren so unbedeutend im Vergleich zu der Drohung durch diesen sogenannten Thronfolger.
    Maarken wusste, in welch prekärer Lage Rohan steckte. Das eigentliche Problem war nicht einmal der Anspruch, den dieser Mann erheben mochte. Worauf es hinauslief, war die Faradhi- Macht. Pols Persönlichkeit würde viel dabei helfen, die anderen davon zu überzeugen, dass er nicht zum Tyrannen geboren war und seine Lichtläufer-Gaben nicht mit der Macht des Hoheprinzen vereinen würde, um jeden Gegner zu zerschmettern. Doch wenn er auch der Sohn seines edlen Vaters war, so war er doch auch das Kind seiner Faradhi- Mutter. Ganz gleich, wie

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