Mondlaeufer
Rialla eine neue Frau, seine siebte, hatte nehmen wollen. Halian fing ihren Blick auf, und seine Lippen zuckten.
»Dann wird es also in diesem Jahr am Letzten Tag eine Hochzeit weniger geben«, bemerkte er.
Sein Vater brauste auf: »Du wirst unseren Cousin, den Prinzen, mit dem nötigen Respekt betrauern, du unverschämter Dummkopf.«
»Ich wollte nicht respektlos sein«, sagte Halian reumütig, doch seine Augen verrieten Kiele, dass er den alten Mann tot und verbrannt wünschte. Verstohlen warf sie ihm einen mitleidigen Blick zu, ehe sie auf ihren Schoß blickte. Ja, wenn Moswen schlau vorging und seine Ungeduld seinem Vater gegenüber auszunutzen wusste, war er wie eine reife Frucht. Clutha benahm sich, als sei sein Sohn noch immer ein Jüngling von zwanzig, nicht ein Mann, der sich den Vierzig näherte. Kiele musste Moswen nur gut beraten. Dann würde sie noch vor dem Herbst Prinzessin sein.
Die Nachricht von Ajits Tod dämpfte auch Lyell. Kiele war voller Dankbarkeit dafür. Als er in ihrem riesigen Himmelbett eingeschlafen war, kehrte sie in ihr Ankleidezimmer zurück und zündete eine Kerze auf ihrem Schreibtisch an. Zusammen mit dem Spiegelbild war das so hell, dass sie den Brief von Afina überfliegen konnte.
Vielleicht erinnert Ihr Euch an meine Schwester Ailech, die in Eurer Kindheit in der Felsenburg diente, wenn auch nicht so ehrenvoll an Eurer Seite wie ich, sondern in den Küchen. Wir haben uns nie sehr nahegestanden, denn sie hat mich um meine Stellung beneidet. Aber nach all diesen Jahren habe ich Nachricht von ihrer Familie. Wie Ihr vielleicht wisst, ging sie mit Lady Palila nach Waes, als beide hochschwanger waren, und sie bekam einen Sohn, einen schönen jungen Mann mit dunklen Haaren und grünen Augen. Ailech starb kurz nach seiner Geburt, und da auch ihr Mann starb, wurde Masul von meinen Eltern aufgezogen, die auf Gut Dasan in der Prinzenmark ihr Alter verbringen dürfen. Masul ist wie ein Habicht im Sperlingsnest, denn mit seinen schwarzen Haaren und den grünen Augen ähnelt er so gar nicht dem Rest unserer blonden, braunäugigen Familie. Ailechs Mann hatte ebenfalls dunkle Augen und war noch kleiner als wir, doch Masul soll ungefähr so groß sein wie Euer alter Vater. Aber ich schwatze über Dinge, die Euch nichts bedeuten können.
Afina schrieb nie etwas, das Kiele nichts bedeutete, und beide wussten das. Kiele hatte sie gebeten, ihre Kontakte in der Prinzenmark zu nutzen, um sichere Informationen über den Knaben herauszubekommen, den man für Roelstras Sohn hielt. Sie hatte den ganzen Winter über einen bestimmten Plan im Kopf gehabt und ihn in allen Variationen durchgespielt – bisher alles reine Spekulation. Doch nun hatte der Pfeil, den sie ins Blaue abgeschossen hatte, offensichtlich unerwartet ein Ziel getroffen. Sie lachte vor Entzücken leise auf. Dann blickte sie rasch zu der offenen Tür zum Schlafzimmer hinüber, doch Lyell regte sich nicht.
Jene Nacht bei dem Rialla hatte Kiele immer schon fasziniert. Vier Neugeborene in einer Nacht, eine Prinzessin im Exil und eine belohnt, eine Mätresse, die in ihrem Bett verbrannte. Eines der vier Babys war Chiana gewesen, dieses unausstehliche Gör. Wenn Kiele irgendetwas mit Pandsala gemeinsam hatte, dann war es die Aversion gegen ihre Halbschwester.
Aber war Chiana wirklich Roelstras Tochter? Kiele kicherte leise, als sie den Brief anzündete und zusah, wie er auf einem polierten Messingteller zu Asche zerfiel. Afina hätte den Teil mit den grünen Augen nicht wiederholen müssen. Roelstras Augen hatten diese Farbe gehabt. Und war Masul nicht fast so groß wie Roelstra? Kiele musste sich auf die Lippen beißen, um nicht laut zu lachen.
Sie holte Pergament und Tinte heraus, um einen kurzen Brief an Afina zu schreiben. Sie dankte ihr für den Brief und bat um weitere interessante Neuigkeiten aus ihrer Familie, die ihr bei den anstrengenden Vorbereitungen für das Rialla Zerstreuung liefern würden. Am Schluss bat sie noch um ein Geschenk, eine von diesen Kleinigkeiten, mit denen Afina sie schon aufgeheitert hatte – etwas in Schwarz und Grün. Richtig gelesen, sollte das heißen, dass Masul selbst das Geschenk sein sollte. Als sie den Brief unterzeichnet und versiegelt hatte, kam ihr eine weitere Idee. Sie schrieb einen zweiten Brief, eine in hübsche Worte verpackte Einladung an ihre kleine Schwester Chiana. Sie solle ihr doch den Gefallen tun, nach Waes zu kommen und ihr bei den Vorbereitungen für die diesjährigen
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