Mondlaeufer
Veranstaltungen helfen. Der Gedanke, dass Chiana selbst den größten Unterhaltungswert für Kiele darstellen würde, brachte sie wieder zum Lachen, als sie das Pergament faltete und versiegelte.
Kiele wog den Brief an Moswen eine Weile in der Hand, bevor sie ihn verbrannte. Wenn Chiana hier war, konnte Moswen nicht kommen. Und beim Gedanken an ihre andere Halbschwester hätte sie fast laut gelacht, denn was konnte amüsanter sein, als Chiana auf Halian anzusetzen, um dann mitzuerleben, wie er sie plötzlich zurückwies, wenn ihre niedrige Herkunft bekannt wurde. Kiele schlang die Arme um ihre Knie, als der Brief verbrannte, und wiegte sich mit unterdrückter Heiterkeit vor und zurück.
Doch plötzlich wurde sie wieder nüchtern. Sie wusste, dass sie vorsichtig sein musste. Die äußeren Merkmale, die Afina erwähnt hatte, würden eine Hilfe sein, gleichgültig, wer die wahren Vorfahren des Jungen waren. Wenn Kiele Masul erst einmal vor sich hatte, würde sie beurteilen können, ob die grünen Augen und die Größe mit einer entsprechenden Ähnlichkeit der Gesichtszüge zusammenfielen. Lady Palila hatte kastanienbraunes Haar gehabt. Wenn Masuls Haare sehr schwarz waren, würde Kiele seine angebliche Abstammung durch eine leichte Rottönung herausstreichen können. Auch die richtige Kleidung war wichtig. Und Schmuckstücke. Sie durchwühlte ihr Schmuckkästchen und fand eine Amethystbrosche, die man zu einem Ring umarbeiten konnte. Das würde ein weiterer Hinweis auf den wahren Erben der Prinzenmark sein. Sie konnte ihn machen lassen, wenn die übrigen Schmuckstücke für das Rialla neu gefasst oder umgearbeitet wurden. Schlimmstenfalls hatte sie einen neuen Ring, falls sich der Junge als ganz und gar unmöglich erweisen sollte.
Falls Masul jedoch glaubwürdig als Roelstras Sohn durchging, würden ihr alle Wege offen stehen, ihn zu benutzen, selbst wenn er in Wirklichkeit von niedriger Herkunft war. Allein öffentliche Demütigung von Chiana, wenn ihre Abstammung angezweifelt wurde, war das alles wert. Die Beweislast würde bei denen liegen, die glaubten, er sei von gewöhnlicher Herkunft. Denn in jener Nacht war es chaotisch zugegangen, und das war das Einzige, was man mit Sicherheit wusste.
Aber falls die Gerüchte wahr sein sollten und Masul wirklich ihr Halbbruder war … Kiele grinste in den Spiegel und malte sich genüsslich die Folgen aus: Pandsala aus der Felsenburg vertrieben, Pol seiner Güter beraubt, Rohan gedemütigt. Sie sah Lyell als Masuls Günstling und sich als seine Beraterin, die ihn lehrte, ein Prinz zu sein, und über ihn die Prinzenmark regierte.
Sie betrachtete die beiden Briefe. Einer würde nach Einar gehen und Masul holen, der andere nach Port Adni und Chiana bringen. Sie würde Masul bis zum Rialla versteckt halten, ihn unterweisen und ihn davon überzeugen, dass er nur mit ihrer Hilfe siegen konnte. Er durfte nicht mit Chiana zusammentreffen, bevor die Prinzen versammelt wurden.
Aber alles hing davon ab, ob er als Roelstras Sohn durchgehen konnte. Kiele betrachtete im Kerzenschein ihr Spiegelbild und fragte sich, ob es wahr sein konnte – und ob sie das wirklich wünschte. Ein Hochstapler, der die Wahrheit fürchten musste, würde viel leichter zu lenken sein als der echte Sohn des alten Hoheprinzen. Sie kannte den Charakter der Nachkommen ihres Vaters nur zu gut.
Kapitel 3
Pol hatte seine erste Reise über die Meerenge zwischen Radzyn und Dorval nicht gerade in bester Erinnerung. Seine Mutter hatte ihn gewarnt, dass ein Faradh’im und Wasser sich nicht vertrügen. Doch Pol, der sich wie alle elfjährigen Jungen für sehr klug hielt und sich seiner Stellung als Sohn des Hoheprinzen durchaus bewusst war, hatte ihr nicht geglaubt.
Sein erster Schritt an Bord hatte ihn eines Besseren belehrt. Er erinnerte sich, dass er zu seinen Eltern zurückgeschaut hatte, die mit seiner Tante Tobin und seinem Onkel Chay auf dem Kai gestanden und auf das Unausweichliche gewartet hatten. Das Schiff bewegte sich ein wenig in der Strömung. Pol hatte gemerkt, wie er grün wurde. Er war zur Reling getaumelt und wurde dort von einem Seemann erwischt, ehe er über Bord fallen konnte. Dann hatte er sich gewaltig übergeben und war bewusstlos zusammengebrochen. Nach einem langen, elenden Tag in seiner privaten Kabine gipfelte die Entwürdigung darin, dass er am Abend vom Schiff getragen und sofort ins Bett gesteckt wurde.
Am nächsten Morgen hatten seine Augen weniger geglüht, und sein Magen hatte
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