Mondlaeufer
für Einfälle Halians uneheliche Töchter gekommen waren. Doch obwohl er sich bei der Unterhaltung weitgehend entspannte, drehte sich ein anderer Teil seines Denkens darum, wie er Kiele weiterhin beobachten konnte. Schließlich hatte das sein Prinz und Ziehvater befohlen.
Später hatte er dazu auch Gelegenheit. Lady Chiana brauchte einiges aus der Residenz in Waes und hatte Prinz Halian gebeten, sie auf diesem Ritt zu begleiten. Das war ein ziemlich durchsichtiger Trick von ihr, denn wenn Halian bei ihr war, konnte er nicht anderswo Leuten zuhören, die ihre Herkunft anzweifelten. Riyan war von Halian wieder von Clutha ausgeliehen worden. Er lauschte ihrem Flirt während des Ritts ungerührt. All das neckische Lachen und die schelmischen Bemerkungen, mit denen Chiana Halian umgarnte, hatte sie schon lange erfolglos an Riyan erprobt; insgeheim war er erstaunt, dass sie sich bei jedem Mann auf dieselbe Methode verließ. Doch Halian schluckte alles, als wäre er der Allererste, der je bei ihr angebissen hatte. Riyan hatte Mitleid mit ihm und verachtete ihn gleichzeitig. Sollte der Prinz doch seine Freude an ihr haben, wenn er dumm genug war, sie zu seiner Frau zu machen.
Als sie in der Residenz ankamen, warf Chiana Riyan die Zügel zu, als wäre er ein einfacher Stallknecht, und gestattete ihm gnädig, sich zu entfernen. Halian entließ ihn mit einer Handbewegung, denn er hatte nur Augen für Chiana.
Riyan sah zu, wie das Paar die Stufen zum Hauptportal hinaufschritt, und dachte hämisch daran, was Kiele wohl dazu zu sagen hatte, dass man ihr Heim als Bordell benutzte. Chiana war nicht dumm, das musste Riyan ihr zugestehen; es waren genug Bedienstete da, die wissen würden, wie viel Zeit sie mit Halian allein verbracht hatte, wahrscheinlich in einer verschlossenen Kammer im Obergeschoss mit Zugang zu einem Bett. Wenn Halian glaubte, er könnte Chiana umsonst bekommen, würde es für ihn ein böses Erwachen geben. Riyan zuckte die Achseln und half mit, die Pferde zu versorgen. Dabei schwatzte er ein wenig mit dem freundlichen Stallknecht, den er im Sommer hier kennengelernt hatte.
Nach einem kurzen Kampf mit sich selbst ritt er anschließend zu dem Landhaus außerhalb der Stadt, wo man Kleve umgebracht hatte. Er machte die Zügel draußen fest. Seine Lippen waren zusammengepresst und seine Stirn gerunzelt. Sonnenlicht floss wie warmer Honig das Dach hinunter, und wilde Blumen blühten im Gras; es sah nicht aus wie ein Ort zum Sterben. Er band sein Pferd an, öffnete vorsichtig die Tür und trat ein.
Die Zimmer waren so leer wie bei seinem Besuch in der Nacht von Kleves Tod. Niemand hatte etwas angerührt – die Laken waren noch immer zerknüllt, und das schmutzige Geschirr stank nach verdorbenem Essen. Riyan schüttelte über sich selbst den Kopf, dass er einen derart vergeblichen Versuch unternahm. Wenn niemand zurückgekommen war, um hier aufzuräumen, dann war hier wahrscheinlich auch gar kein Beweis zu holen. Aber er musste es versuchen.
Im Nachmittagslicht sah er dunkle Flecken auf dem Boden, die Blut sein konnten, und andere Zeichen eines überstürzten Aufbruchs, die er bei seinem letzten Besuch übersehen hatte: ein Hemd, das man unter das Bett getreten und vergessen hatte, den Ohrring einer Frau unter dem Tisch, wo das Kerzenlicht ihn zwar nicht gezeigt hatte, jedoch jetzt die Helligkeit des Sonnenlichts. Er gehört sicher Kiele. Doch wenn er nicht eine ihrer Schmuckschatullen nach der anderen durchwühlen wollte, konnte er das nicht beweisen. Außerdem hatte sie den anderen Ohrring sicher gleich verschwinden lassen, sobald sie festgestellt hatte, dass sie einen verloren hatte. Doch Hinweise gab es hier wirklich – was ihn seine ursprüngliche Erklärung für diese Unordnung überdenken ließ. Es war niemand zurückgekehrt, weil niemand das gewagt hatte. Vielleicht hatte er bei seiner Suche in jener Nacht etwas verändert, sodass der Bewohner gewarnt worden und sofort geflohen war. Vielleicht hatte man sogar gesehen, wie er das Haus betreten oder verlassen hatte – wenn das stimmte, war es erstaunlich, dass er noch am Leben war. Riyan steckte den Ohrring ein und setzte seine Suche fort.
Kurz vor der Dämmerung fand er einen echten Beweis in einem Wandschrank im rückwärtigen Teil des Hauses. In seiner lebhaften Fantasie hatte sich Riyan zu der Vermutung verstiegen, dass man ein Stück Kleidung oder etwas anderes von Kleve in der panischen Eile des Aufbruchs vergessen haben könnte, so wie das Hemd
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