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Mondlaeufer

Mondlaeufer

Titel: Mondlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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und den Ohrring.
    Doch auf das Bündel schweren Wollstoffs im Wandschrank war er nicht gefasst. Steif von geronnenem Blut war er um ein Handtuch gewickelt, das drei abgetrennte Finger enthielt.
    Riyan ließ das schauerliche Paket fallen und fuhr entsetzt zurück. Ein Schrei blieb in seiner Kehle stecken. Taumelnd und halbblind rannte er zum Abfluss, um sich fürchterlich zu übergeben. Als sein Magen leer und er von dieser heftigen Reaktion völlig erschöpft war, pumpte er Wasser hoch, um sich das Gesicht zu waschen. Beim Anblick seiner eigenen im Wasser blitzenden Ringe musste er noch einmal würgen.
    Erst nach einer halben Ewigkeit konnte er sich aufraffen, wieder dorthin zu gehen. Die Decke lag noch da, wo er sie hingeworfen hatte. Ihr gelb-rotes Muster war von getrocknetem Blut verkrustet. Was das Handtuch anging – Riyan kniete sich zitternd hin und zwang sich, einen Finger zu berühren, um den Ring abzuziehen. Andrade würde sie haben wollen, sagte er sich immer wieder. Andrade würde sie als Beweis brauchen.
    Doch dann hielt er inne und starrte auf die einfachen Ringe um die abgeschnittenen Finger.
    Kleve hatte sechs Ringe getragen, die ihn als Lichtläufer auswiesen, der beides, Sonne und Monde, benutzen konnte. Doch auf dem blutigen Handtuch vor ihm waren drei Finger mit nur zwei Silberringen.
    Er holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Sein Vater hatte ihm erzählt, dass Sioned irgendwie einen von Kleves goldenen Ringen erhalten hatte; so hatten sie von seinem Tod erfahren. Er musste vom linken Zeigefinger stammen, denn der fehlte in dieser schauerlichen Sammlung. Der andere Goldring vom rechten Daumen war ebenfalls verschwunden. Es war der stolzeste Ring von allen, der fünfte, der für den Status als ausgebildeter Lichtläufer stand. Er konnte den weißen Streifen auf der Haut sehen, wo Kleve den Ring fast sein Leben lang getragen hatte.
    Wo waren die anderen Ringe, vor allem der fünfte?
    Riyan zwang sich zum Aufstehen und ging zum Fenster. Er riss es weit auf, um frische Luft hereinzulassen. Dann nahm er ein frisches Tuch aus dem Wäscheschrank, um darin die Beweisstücke einzuwickeln. In ein weiteres Tuch schlug er die Decke ein: dicke, rot-gelbe Wolle aus Cunaxa, die zweifellos Kleves Leiche verborgen hatte, als man ihn davonschleppte. Masul war angeblich groß und kräftig, mit breiten Schultern und genug Muskeln, um die Last leicht zu bewältigen. Und Riyan wurde wieder schlecht, als ihm klar wurde, dass Masul Kleves Körper wahrscheinlich gerade irgendwo den Aasfressern hingeworfen hatte, während er selbst das Haus durchstöbert hatte. Warum war Masul nicht zurückgekehrt, als er noch dort war? Riyan fluchte bitter über die verlorene Chance, doch dann schluckte er und gestand sich ein, dass die Göttin ihn in jener Nacht beschützt hatte.
    Aber warum hatte Masul Kleve nicht gleich ganz die Hände abgeschnitten? Selbst wenn er alle Ringe abgenommen hätte, wären wegen der Sonnenbräune Zeichen an den Fingern zurückgeblieben. Ohne Hände konnte ihn niemand als Faradhi identifizieren. Einen Moment später kam er bereits auf die Antwort: Eine Leiche ohne Hände konnte nur auf eines hinweisen; auf den Mord an einem Lichtläufer.
    Dennoch hatte Masul vergessen, die abgetrennten Finger wegzuschaffen. Ein dummer Fehler. Nein, ein vernichtender. Hatte er darauf vertraut, dass nach der ersten Suche niemand mehr zurückkommen und so gründlich suchen würde, wie Riyan es gerade getan hatte? Hatte ihn die Eile unvorsichtig gemacht? Hatte er es nicht gewagt zurückzukommen, oder hatte ihn seine eigene Arroganz betrogen?
    Riyan fragte sich, welcher arme, entsetzte Mensch wohl Kleves Körper gefunden haben mochte. Aber er wusste, warum niemand davon geredet hatte. Wer wollte schon mit der Verstümmelung und dem Mord an einem Lichtläufer in Verbindung gebracht werden? Darüber, wie der goldene Ring wohl zu Sioned gelangt war, grübelte er noch nach, während er die Päckchen in seine Satteltaschen stopfte. Vielleicht hatte jemand nach Kleve gesucht oder ein Gerücht gehört, oder man hatte die übrigen Ringe von seinen Fingern gezogen, um sie zu verkaufen. Es war ziemlich unwichtig, und Riyan ermahnte sich selbst, den guten Willen der Göttin nicht länger auf die Probe zu stellen. Sie sorgte für ihre Faradh’im, mehr musste er nicht glauben. Wichtig war nur der schreckliche Beweis, den er sicher in seinen Ledertaschen verstaut hatte.
    Er kehrte zum Haus zurück und wusch sich noch einmal zitternd Gesicht

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