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Mondlaeufer

Mondlaeufer

Titel: Mondlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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Überzeugung seine Meinung teilte oder überhaupt nicht. Würde sie stillschweigend allem zustimmen, was er sagte, ganz gleich, was sie davon hielt, so würde er sie als Dummkopf verachten. Würde sie jemals zulassen, dass er auf seiner Meinung bestand, ohne zu widersprechen, so würde er sie sogar noch mehr verachten, weil sie sich ihrer Verantwortung entzog; schließlich hatte sie einen eigenen Verstand.
    Sie ging in ihren Schlafraum, verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf und reckte sich. Schwierig war es für sie immer, wenn ihr Verstand Rohan beipflichtete, ihr Gefühl jedoch nicht. Ihr Verstand, der seit zwanzig Jahren darin geschult war, getreu den Gesetzen zu herrschen, und dazu schon immer geneigt hatte, hatte bei Andrades und Pandsalas Vorschlägen entsetzt protestiert. Doch ihre Gefühle für ihren Sohn, für seine Sicherheit und sein Wohlergehen als Hoheprinz drängten sie zur Zustimmung: nehmen, was angeboten wurde, die Chance ergreifen, Gegner wie Miyon und Kiele loszuwerden und das Gesetz so lange vergessen, wie es angebracht schien.
    Sioned sah die hochgezogenen Brauen ihres Mannes beinahe vor sich. »Das wäre wirklich sehr geschickt von uns«, würde er sagen und lächeln. Er wusste auch, dass sie den Forderungen des Barbaren in ihnen ebenso wenig nachgeben würde wie er, egal was ihr Gefühl ihr sagte.
    Sie wurde lange nicht gestört, und es war schon Nachmittag, als sie ihre Zurückgezogenheit aufgab. Prinzessin Audrite würde bald kommen, um darüber zu sprechen, wer nach den neuesten Gerüchten auf wessen Seite war. Dann würde Rohan erschöpft und rastlos vom Nachmittagstreffen zurückkommen. Seit Beginn des Rialla war er ständig so. Sioned würde ihm nichts von Andrade und Pandsala erzählen. Je weniger er sich sorgen musste, desto besser.
    Als sie in den öffentlichen Bereich des Pavillons zurückkehrte, sah sie überrascht, dass Pol vom Markt zurück war. Sioned brachte es nicht über sich, ihn für seine Unüberlegtheit an diesem Morgen zu schelten, als er so erschöpft in seinen Sessel gelehnt saß und seine Arme an den Seiten herunterbaumeln ließ.
    »Du bist also zurück«, sagte sie. »War es schön?«
    Er sah zu ihr hoch. Als er seine dunkelblonden Brauen hob, war die Ähnlichkeit mit seinem Vater geradezu unheimlich. »O ja. Einfach toll.« Auch seine Stimme war wie die von Rohan: sarkastisch, mit leiser Bitterkeit.
    »Was ist passiert?«
    Er hob eine Hand und ließ sie wieder fallen. »Jetzt nicht, Mutter. Bitte.«
    Sioned starrte ihn völlig verwirrt an, musste sich jedoch keine Antwort einfallen lassen, weil im selben Moment drei junge Knappen mit zwei gewaltigen Holzkisten und einem riesigen, in Seide gewickelten Paket das Zelt betraten. Pol wies sie an, ihre Last auf einem Tisch abzustellen.
    »Ich nehme an, du willst mir nicht sagen, was das da ist«, sagte sie schließlich.
    Pol schaute wieder hoch, als wenn er sie erst jetzt sähe. Ein leises Lächeln kräuselte seine Mundwinkel. »Also, das größte ist für dich«, sagte er.
    »Mein Geschenk?«, fragte sie. Es war ein komisches Gefühl: Er sah dem kleinen Jungen, der er noch Anfang des Sommers gewesen war, überhaupt nicht mehr ähnlich. »Darf ich es aufmachen?«
    »Du musst es, damit wir sicher sind, dass es passt. Du hast doch nicht gemerkt, dass du neulich auf dem Markt verfolgt wurdest, nicht wahr? Der Kaufmann ist hinter dir hergeschlichen und hat sich deine Maße eingeprägt!« Pol lachte, doch noch immer kam der Junge nicht wieder zum Vorschein. »Er sagte heute, wenn er dich nicht an deinem roten Haar erkannt hätte, hätte er nie erraten können, wer von euch beiden die Ältere war, du oder Alasen.«
    »Kaufleute sind diebische Lügner. Aber erzähl schon, was er sonst noch über mich gesagt hat.«
    Endlich wich die Anspannung von Pols Gesicht, und er war wieder ein Junge von knapp fünfzehn, nicht ein Mann im doppelten Alter. Sioned lachte erleichtert, während sie die seidene Verpackung aufriss. Dann schnappte sie nach Luft.
    »Pol!«
    »Nicht schimpfen«, bettelte er, während seine Augen vor Aufregung leuchteten. »Weißt du noch, wie ich dir von dem Gasthaus bei Graypearl erzählt habe? Zwei Seidenhändler, die dort waren, haben darauf bestanden, mich mit genug Seide für Kleider für dich und Tante Tobin zu belohnen. Das rot-silberne ist für sie – sie haben früher schon mal für sie gearbeitet, deshalb kannten sie ihre Größe. Das andere …«
    Sioned hielt das Gewand hoch und lauschte dem Rascheln

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