Mondlaeufer
Einwände gegen die Gegenwart der Höchsten Prinzessin und meines Sohnes sowie der Regentin haben.«
Es gab keine Einwände.
Es konnte keine geben. In erneuter, bedrückender Stille verließen sie die Versammlung. Rohan blieb allein zurück. Er stand eine Weile schweigend und blicklos da, nachdem sie gegangen waren. Dann sank er auf seinen Stuhl und bedeckte sein Gesicht mit den Händen.
»Gnädige Göttin«, flüsterte er. »Was habe ich getan? Was soll ich tun?«
Es war niemand da, der geantwortet hätte.
Kapitel 23
Von allen Menschen in Waes, die Sioned an diesem Mittag sehen wollte, war Chiana die allerletzte. Doch die kam kurz nach Tallain, der sofort zum großen blauen Pavillon gelaufen war, um über die Entscheidung der Prinzen zu berichten. Sioned war den ganzen Morgen dort gewesen und hatte allein auf ihren Gatten gewartet. Nicht einmal Pol hatte sie bei sich haben wollen. Tallain respektierte ihren Wunsch, berichtete kurz und zog sich dann zurück. Doch ihm auf den Fersen folgte Chiana, die über die Teppiche lief und diese absichtlich beschmutzte.
»Wie konntet Ihr es so weit kommen lassen?«, schrie sie. »Wie konntet Ihr nur?«
»Seid still«, sagte Sioned in warnendem Ton, der die junge Frau eigentlich sofort hätte zum Schweigen bringen müssen.
Chiana konnte die Gefühle der anderen in diesem Augenblick nicht einmal ansatzweise begreifen – was ihr auch sonst nicht eben leicht fiel. Sioned stand auf. Eine leise, drängende Stimme in ihrem Kopf verlangte von ihr, dass Chiana sofort verschwinden müsse, ehe Rohan kam, der zweifellos das bisschen Frieden brauchte, das Sioned ihm geben konnte. Doch Chiana kreischte weiter, schrill und verletzlich in ihrer ängstlichen Wut.
»Ihr hättet es nur befehlen müssen, und dieser Kerl wäre längst tot! Mein Vater hätte ihn hingerichtet, bevor er auch nur den Mund aufgemacht hätte! Was für einen Wert hat die Macht des Hoheprinzen, wenn Ihr sie nicht benutzt? Ich bin jetzt diejenige, die für diese Feigheit bezahlen muss! Ich muss meine Geburt in Zweifel ziehen lassen! Ich muss …«
Sioned ertrug Chianas Auftritt mit außerordentlicher Geduld, ehe sie die Fassung verlor.
»Ich, ich, ich! Ist Euer kostbares Ich das Einzige, woran Ihr denken könnt? Roelstras Tochter! Wenn ich jemals Zweifel daran gehegt haben sollte, dann sind die jetzt verflogen! Nur ein Sprössling dieser bösartigen, selbstsüchtigen Schlange kann sich so aufführen! Jetzt lasst mich allein, Chiana, oder ich werfe Euch eigenhändig hinaus.«
Sie hatte das merkwürdige Gefühl, dass es jemand anders war, dessen Stimme hier laut wurde, dessen Hand sich drohend erhob. Doch der Anblick ihres Smaragdrings bewies ihr, dass die zum Schlag erhobene Hand wirklich ihre eigene war. Angewidert wandte sie sich ab. »Raus«, flüsterte sie. »Raus, ehe ich vergesse, wer ich bin.«
»Ihr scheint vergessen zu haben, wer ich bin!«
Tallains Stimme wurde eindringend im Vorraum laut.
»Ist Rohan hier? Ich muss sofort mit ihm sprechen!«
Pandsala. Alles, was Sioned jetzt brauchte, war noch eine von Roelstras Töchtern. Sie wandte sich um, als der Vorhang rauschte. Chiana stieß ein kurzes Lachen aus.
»Pandsala! Sag’s ihr! Wir fordern den Tod dieses Hochstaplers!«
Beim Anblick ihrer Halbschwester fuhr Pandsala zusammen. Sie wirkte schuldbewusst. Sioned ballte die Fäuste.
»Also?«, keifte Chiana. »Los! Sag’s ihr! Wenn keine von euch den Mut dazu hat, werde ich diesen Bastard eben selbst töten lassen!«
»Wenn er stirbt«, hörte Sioned diese fremde Stimme sagen, die nicht ihre eigene war, »dann sterbt Ihr als Nächste, Chiana – und zwar durch meine Lichtläufer-Kunst.«
Das Mädchen holte erschrocken Luft und wurde weiß. »Das wagt Ihr nicht!«
Ein leises Lächeln umspielte Sioneds Lippen. »Wirklich nicht?«
Genau in diesem Augenblick betrat Rohan das Zelt und blieb sofort stehen, als er die drei Frauen sah. Er bemerkte und verwarf Chianas Wut mit einem durchdringenden Blick. Dann betrachtete er Pandsala mit Augen wie farbloses Eis. Schließlich sah er seine Frau an, und ein verärgertes Zucken glitt über sein Gesicht. Zu ihr sagte er: »Ich komme, um Zuflucht zu suchen, und mich erwartet ein Schlachtfeld.«
Und damit war er wieder fort.
Chianas Mund stand offen. Pandsala sah aus, als ob sie entweder schreien oder auf ihre Halbschwester losgehen wollte, vielleicht beides. Sioned hätte weinen mögen vor Schmerz über Rohans kalte, tote Augen, sein wie aus Stein
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