Mondlaeufer
schwarzen Wimpern unter ebenso dunklen Brauen hatte sie von Walvis geerbt, ebenso ihr wundervolles, sorgloses Lächeln. »Ich mag Drachen, Herr. Und ich mag diesen Raum. Es ist mein Lieblingszimmer in Stronghold. Es ist das Sommerzimmer.«
»Dann werden wir ihm diesen Namen geben«, sagte Sioned zu ihr. »Ich werde meinem Haushofmeister heute Nachmittag sagen, dass Lady Sionell es zu Ehren des Wandbehangs das Sommerzimmer genannt hat. Und so soll es von jetzt an heißen.« Sie begegnete kurz Rohans amüsiertem Blick und zwinkerte ihm zu. Sie wussten beide, dass Sionell in Pol verschossen war. Der triumphierende Blick, den das Mädchen dem jungen Prinzen zuwarf, bestätigte dies. Pol zog es vor, ihn zu übersehen, und Sioned unterdrückte ein Grinsen.
Sie machten es sich alle auf dem Teppich bequem. Feylin breitete eine eindrucksvolle Sammlung von Schaubildern, Karten und Listen vor ihnen aus. Der Vortrag begann mit dem Ergebnis der alljährlichen Drachenzählung.
»Den verlässlichsten Berichten zufolge liegt die Gesamtzahl bei einhundertsechzig. Darunter sind dreizehn Leitdrachen und fünfundfünfzig Drachenweibchen in fortpflanzungsfähigem Alter. Der Rest sind Dreijährige, die sich dieses Jahr noch nicht paaren werden. Die Population hält sich ziemlich konstant, wie Ihr meinem Schaubild entnehmen könnt, Herr. Verluste durch Altersschwäche, Krankheiten und Unfälle reduzieren die Zahl auf ungefähr hundertfünfzig, nach dem Schlüpfen wird sie wieder auf ungefähr dreihundert steigen.«
»Aber wir müssten nach dem Schlüpfen an die vierhundert haben«, sagte Rohan. »Bei fünfundfünfzig Drachenweibchen …«
»Es gibt aber nur dreiundvierzig passende Höhlen«, erklärte Feylin. »Ihr wisst, was das heißt.«
Pol runzelte die Stirn. »Was passiert, wenn sie keine Eier legen können?«
»Sie sterben«, antwortete Sionell lakonisch. Pol war etwas beleidigt, dass sie mehr über Drachen wusste als er, doch sie ignorierte seine Miene und fuhr fort: »Letztes Mal starben acht Drachenweibchen. Wir haben aber nicht nur die Jungen von dem Jahr verloren, sondern alle, die sie in ihrem Leben noch hätten bekommen können.«
»Aber wenn die Gesamtzahl doch konstant bleibt, wo liegt dann das Problem?«, fragte er.
»Was ist, wenn mal wieder eine Seuche kommt?«
»Zurück zu den Höhlen«, mahnte Feylin freundlich. »Wenn wir nicht genug finden, damit sie für alle reichen, werden die überzähligen Drachenweibchen sterben. Pol hat recht, die Gesamtzahl bleibt konstant, doch sie kann nicht über dreihundert hinauswachsen, weil es nicht genug Höhlen gibt. Ich werde nicht ruhig schlafen, bis es in Spitzenzeiten nicht mindestens fünfhundert Drachen gibt, möglichst sogar noch mehr.«
»Gibt es denn Höhlen, zu denen wir sie hinlocken könnten, Feylin?«, fragte Sioned.
»Im Veresch oben ist es zu kalt. Die Eier würden zum Schlüpfen nicht warm genug. Und südlich von Rivenrock gibt es überhaupt keine geeigneten Höhlen mehr.«
»Rivenrock«, wiederholte Rohan. »Da gibt es wunderbare Höhlen, und zwar reichlich. Habt Ihr irgendeine Idee, wie man die Drachen dazu bringen könnte, dorthin zurückzukehren, Feylin?«
»Tut mir leid, Herr.« Sie schüttelte den Kopf. »Das Bittersüß, das sie in Paarungsjahren fressen, wächst dort so reichlich wie nirgendwo sonst. Die Höhlen sind einfach perfekt, wie Ihr schon sagtet. Tausend Generationen sind dort schon geschlüpft, soweit ich weiß. Aber jetzt überfliegen sie Rivenrock nicht einmal mehr.«
»Das versteh ich nicht, Mama«, klagte Sionell. »Ich weiß, dass sie dort an der Seuche gestorben sind, aber alle, die sich noch daran erinnern könnten, sind doch inzwischen tot. Woher wissen die Jungen, dass sie Rivenrock meiden sollen?«
»Ich glaube, sie sind viel klüger, als wir uns je vorgestellt haben«, erklärte Sioned nachdenklich und dachte an die strahlenden Farben, die sie einen Moment lang berührt hatte. »Wenn sie sich anders miteinander verständigen können als normale Tiere, dann können die alten Drachen die jüngeren durchaus vor diesem Ort, an dem so viele gestorben sind, gewarnt haben. Oder die jüngeren haben diesen Platz von den älteren nie gezeigt bekommen, sodass sie gar nicht wissen, dass es ihn gibt.«
Rohan hörte ihr gebannt zu. Er sagte nichts, doch sie wusste auch so, was er dachte. Wenn sie über das Sonnenlicht irgendwie mit den Drachen Kontakt aufnehmen konnte, dann konnte man sie vielleicht nach Rivenrock zurücklocken. Wenn sie
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