Mondlaeufer
spöttelte Sioned. »Bringe uns das Brett und die Figuren, Pol, und dann schau zu, wie ich ihn zum zwanzigsten Mal in diesem Jahr vom Brett fege.«
»Und dabei zählt das neue Jahr erst seit zwanzig Tagen«, sagte Pol unschuldig und lief davon, um das Schachbrett zu holen.
Rohan baute das Spiel auf dem Teppich auf; Pol saß neben ihm. Sonnenlicht ließ die beiden blonden Köpfe glänzen und betonte die Ähnlichkeit ihres Lächelns. Selbst die Handbewegung, mit der sie ihr Haar nach hinten strichen, war dieselbe. Pol war etwas brauner als Rohan, seine Haare und Wimpern waren etwas dunkler, und seine Augen blitzten mal grün, mal blau. Doch er hatte nichts von Ianthe an sich, nichts, was Sioned an die Prinzessin erinnert hätte, die ihn geboren hatte.
Nach Rohans ersten Zügen betrachtete sie die Aufstellung und erklärte Pol: »Jetzt will er mich zu einem Fehler verleiten. Sieh genau hin.«
»Würde ich dir so etwas antun?«, fragte Rohan mit unschuldigem Augenaufschlag.
»Wann immer du kannst.«
»Du nimmst die Verteidigungsstellung von Großmutter Milar, Mutter, nicht wahr? Maarken hat sie Meath beigebracht, und der hat sie mir gezeigt.«
»Sie liebte Schach und hat gut gespielt«, antwortete Sioned. »Nur Andrade hat manchmal gegen sie gewonnen. Und jetzt hör auf, mich abzulenken, mein Jungdrache!«, fügte sie hinzu und schnitt ihm eine Grimasse. Er lachte, und sie wusste, dass er ihr die Missstimmung bei seiner Ankunft vergeben hatte.
»Sieh dich vor«, sagte Rohan, »sie kann einfach nicht verlieren.«
»Meines Wissens hat sie darin ja auch wenig Übung«, entgegnete Pol verschmitzt, »und es sieht auch nicht so aus, als könntest du es ihr diesmal beibringen, Vater.«
»Oho, jetzt gibt es also Komplimente, damit ich mich in Sicherheit wiege.« Sioned beugte sich vor und zwickte Pol ins Ohr.
Rohan zog eine Figur. »Denk dran, Junge, wenn du mit einer Frau Schach spielst, musst du sie immer gewinnen lassen – selbst nach eurer Hochzeit.«
»Mich gewinnen lassen?« Sioned gab ihm einen spielerischen Kinnhaken. Er schnappte sich ihr Handgelenk, zog und warf sie erfolgreich auf eine Seite des Schachbretts. Sioned boxte nach seinen Rippen; sie kannte jeden empfindlichen Punkt an seinem Körper. Die Schachfiguren flogen um, und Pol schrie: »Schachmatt!«, als sie alle drei lachend auf dem Teppich herumrollten und sich kitzelten. Sioneds Haare lösten sich, Rohan griff nach ihrem dicken Zopf, zog sie herunter und küsste sie. Dann wandten sich beide ihrem Sohn zu. Pol wurde gefangen und quietschte atemlos vor Lachen.
»Na, so was«, kam eine amüsierte Stimme von der Tür her, »wer probt denn hier wohl den Aufstand? Wollen wir wetten, wer gewinnt, Maarken?«
»Pol«, sagte der junge Mann sofort. »Von Chadric kennt er bestimmt eine Menge schmutziger Tricks im Kampf ohne Waffen, Mutter.«
Das prinzliche Trio kam zur Ruhe und setzte sich, immer noch lachend, wieder hin. Rohan grinste zu Maarken und Tobin hoch. »Setz du nur immer auf den Jüngeren – besonders wenn er dein zukünftiger Prinz ist.«
»Reine Taktik von mir«, stimmte Maarken lachend zu und half Sioned auf die Beine.
Sie bedankte sich und versuchte, ihr Haar wieder in Ordnung zu bringen. »Willst du etwa da sitzen bleiben?«, fragte sie ihren Mann. »Hoch mit dir, und zeig mal ein bisschen mehr prinzliche Würde.«
»Zeigt wirklich mal, was ihr könnt«, wies Tobin sie an. »Ich komme nämlich, um euch die Botschafterin aus Firon anzukündigen.«
Rohan stöhnte und schüttelte den Kopf. »Ihr Lichtläufer hat doch gesagt, sie würde erst morgen kommen.«
»Lady Eneida folgt mir auf dem Fuße, lieber Bruder.«
Maarken und Pol suchten die Schachfiguren zusammen, während Tobin das Brett an seinen Platz zurückbrachte und einen umgeworfenen Stuhl aufstellte. Rohan und Sioned zupften einander die Kleider zurecht, dann schnappten sie sich ihren Sohn und taten bei ihm dasselbe. Alle nahmen Platz, und Maarken stellte sich hinter den Stuhl seiner Mutter, wie es sich für einen jungen Lord in Gegenwart seines Prinzen ziemte. Dann klopfte es auch schon an die Tür.
»Herein«, sagte Rohan und strich sich zum letzten Mal die Haare glatt.
Die fironesische Botschafterin war eine dunkle, schlanke Frau zwischen vierzig und siebzig. Sie war so kühl und zart wie das Kristallglas, für das ihr Land berühmt war, doch damit war es mit der Ähnlichkeit auch schon vorbei. Es mangelte ihr völlig an der luftigen Grazie der fironesischen
Weitere Kostenlose Bücher