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Mondlaeufer

Mondlaeufer

Titel: Mondlaeufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Rawn
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hatten, war Sioned so erschöpft, dass sie in ihr Bett sank und bis zum nächsten Mittag alles vergaß. Die Ankunft des Herrn und der Herrin von Remagev mit ihren Kindern beschäftigte sie dann für den Rest des Tages. Deren Empfang und die verschiedenen Anordnungen für ihre Unterbringung ermöglichten es Sioned, Rohan ihre Sorgen zu verschweigen und das Alleinsein mit ihm zu vermeiden.
    Er wartete ab, doch jedes Mal, wenn sie ihn ansah, war die Besorgnis in seinen Augen größer geworden. Am dritten Morgen hatte er genug vom Warten. Anstatt mit den anderen unten im großen Saal zu frühstücken, ließ er ihr Essen ins Arbeitszimmer bringen. Sie sollten nicht gestört werden – und Sioned wusste, dass es keine zufälligen Unterbrechungen geben würde. Die Anweisung würde in Kraft bleiben, bis Rohan erfahren hatte, was während ihrer Lichtreise geschehen war.
    Sie saß ihm an dem großen Kirschbaumtisch gegenüber, den sie als Schreibtisch benutzten, und fühlte sich an jene Zeiten in der Schule der Göttin erinnert, wenn man sie wegen der einen oder anderen Verfehlung herbeizitiert hatte. Auf jeden Fall sah man Rohan die Verwandtschaft mit Andrade an, die an diesem Morgen durch seine strenge Miene noch betont wurde.
    Ordentlich gestapelte Briefe, unbeschriebenes Pergament, Schreibmaterial und sonstige Zeugen einer umfangreichen Korrespondenztätigkeit waren für das Essen beiseitegeschoben, obwohl es keiner von beiden anrührte. Neben Rohans rechtem Ellenbogen lag auf einem geschnitzten Holzpodest ein dicker Wälzer über Recht und Gerichtsurteile, der in schillernde grüne und bronzefarbene Drachenhaut gebunden war. Prinz Davvi von Syr, Sioneds Bruder, hatte ihnen das Werk geschenkt. Auf ihrer Seite des Tisches stand ein Holzkasten mit ähnlichen Schnitzereien, in dem die verschiedenen Siegel aufbewahrt wurden: je eins für die privaten Briefe, zwei weitere für offiziellere Dokumente und das große Drachensiegel, das so groß war wie Sioneds Handfläche. Es wurde auf die blauen Wachsanhänger gedrückt, die an grünen Bändern von allen Dekreten des Hoheprinzen hingen. An zwei Wänden reichten volle Bücherregale bis zur Decke, die Bände säuberlich nach Themen geordnet. Eine kleine Leiter stand einsam und verlassen bei Geologie und Metallurgie. Sogar über der Tür in der Ecke waren noch Bücherregale angebracht. Ein wollener Wandbehang, auf den mit Seidengarn eine Karte gestickt war, bedeckte den größten Teil der dritten Wand. Schwerfällig bewegte sich das kostbare Gewebe im warmen Wind, der durch die offenen Fenster zu ihrer Linken hereinwehte.
    Sioned liebte diesen Raum. Hier hatte Urival sie in jenem ersten Sommer auf Stronghold, ehe sie Rohans Prinzessin wurde, in die Faradhi -Geheimnisse eingeweiht – vielleicht sogar in ein paar zu viel. Hier hatte sie die Gesetze der Wüste und die Grundlagen des Rechts studiert, die ihr Mann so außerordentlich schätzte. Und in den letzten einundzwanzig Jahren hatten sie in diesem Raum zusammengearbeitet; ihr Land regiert und die Zukunft geplant, in die ihr Sohn hineinwachsen sollte. Doch jetzt wünschte sie sich schuldbewusst an jeden anderen Ort, nur um nicht Rohan gegenübersitzen zu müssen, der seine blauen Augen so streng auf sie richtete, dass sie sich wand wie ein Kind, das man bei einer Schandtat erwischt hat. Sie blieb ruhig, denn ihr war bewusst, dass er in diesem Augenblick nicht ihr Ehemann war, sondern der Hoheprinz. Ebenso war sie jetzt nicht hier als seine Frau, sondern als seine Lichtläuferin.
    »Ein Drache«, wiederholte er nur.
    Sie nickte und beschloss, es hinter sich zu bringen, damit sie ihren wirklichen Rohan zurückbekäme. Sie erzählte, was von dem Moment an, wo Meath sie über das Sonnenlicht gerufen hatte, geschehen war, und schloss mit den Worten: »Wir haben immer vermutet, dass Drachen sehr intelligent sind. Wenn ich recht habe und sie Gedankenfarben haben, die wir Faradh’im wahrnehmen können, dann sind sie vielleicht noch intelligenter, als wir bisher geahnt haben.«
    »Warum ist das früher nie passiert? So viele Faradh’im weben Sonnenlicht, so viele Drachen fliegen jahraus, jahrein überall herum – warum hat noch nie zuvor jemand einen von ihnen gestreift?«
    »Vielleicht ist es passiert, aber niemand hat es verstanden. Vielleicht habe ich aber auch unrecht. Doch ich schwöre bei dem, was ich gefühlt habe, mein Prinz: Ich habe Farben berührt und Flügel gespürt, und Maarken ging es genauso. Pol und Tobin waren schon

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