Mondlaeufer
Glasfantasien. So zerbrechlich sie auch wirkte, so hatte sie doch etwas Steifes an sich. Auch wenn Rohans wenig förmlicher Hof sie davor bewahrte, sich in steife, höfische Kleidung zwängen zu müssen und dadurch noch mehr niedergedrückt zu werden, war ihr Wollgewand doch für das kältere Klima von Firon gedacht. Als sie sich vor dem Hoheprinzen, der Höchsten Prinzessin und dem Thronerben verbeugte, standen ihr feine Schweißtropfen auf der Stirn.
»Es ist sehr entgegenkommend, mich in Euren Privatgemächern zu empfangen, Hoheit«, sagte sie zu Rohan.
»Was nur noch von Eurem Entgegenkommen übertroffen wird, so schnell von Firon hierher zu reisen«, erwiderte er. »Setzt Euch bitte, Lady Eneida, und macht es Euch bequem.«
Als Maarken ihr einen Stuhl hinstellte, murmelte sie ein paar Worte des Dankes und faltete ihre schmalen Hände über ihrem Schoß. »Unser regierender Rat hat mich geschickt, damit ich mit Eurer Hoheit über den unseligen Zustand unseres Prinzenreiches spreche«, hob sie an. »Wie Ihr wisst, starb Prinz Ajit beim letzten Neujahrsfest, ohne einen Erben zu hinterlassen.«
»Wir erfuhren über das Sonnenlicht von seinem Tod und waren bekümmert«, sagte Rohan. Er erinnerte sich sehr gut an den Prinzen, der bei Rohans erstem turbulenten Rialla offen dessen Fähigkeit bezweifelt hatte, auch nur die Grundzüge des Regierens zu begreifen. Er hatte es Ajit nie nachgetragen, sondern war sogar dankbar gewesen, dass er diese Befürchtungen aussprach, weil sie seinen Schachzügen entgegenkamen. Ein dummer Hinterwäldler – das war genau der Eindruck, den er hatte erwecken wollen, um Roelstra zu Zugeständnissen zu verleiten. Inzwischen waren natürlich alle längst eines Besseren belehrt.
Lady Eneida fuhr fort: »Die Tage seit dem Ableben Seiner Hoheit waren nicht einfach. Unablässig gingen, hm, sozusagen Vorschläge von anderen Prinzen bei uns ein.«
»Das ist mir klar. Wie steht Euer Rat dazu?«
Sie ließ sich zu einem frostigen Lächeln herab. »Alle sind argwöhnisch – wie Ihr Euch wohl denken könnt, Herr.«
»In der Tat«, murmelte Tobin.
»Die meisten dieser Vorschläge betreffen Blutsverwandtschaft, echte und eingebildete. Und damit wäre auch Eure Hoheit zu nennen.« Sie schloss Sioned und Pol diesmal in ihren Blick mit ein.
»Ich fürchte, ich begreife nicht recht«, warf Sioned ein. »Ich kenne mich bei den Verwandtschaftsbeziehungen der Prinzen nicht genügend aus, Lady Eneida.«
»Das überrascht mich nicht, Hoheit, denn die Sache ist ziemlich verworren. Die Großmutter des Hoheprinzen war eine Tochter unseres Prinzen Gavran. Sie hatte noch zwei Schwestern – und die heirateten die Prinzen von Dorval und Kierst.«
Tobin beugte sich auf ihrem Stuhl ein wenig vor: »Dann gibt es in vier Prinzenhäusern mögliche Erben für Firon: die Söhne von Volog von Kierst, die Söhne von Davvi von Syr, die Enkel von Lleyn von Dorval und meinen Neffen, Prinz Pol.«
Die Botschafterin neigte den Kopf als Zeichen der Anerkennung für Tobins präzise Zusammenfassung. »Der Anspruch der Wüste wiegt stärker, weil er vom Hoheprinzen kommt – und auch durch die Verbindung der Höchsten Prinzessin Sioned zur Prinzenlinie von Kierst.«
Rohan runzelte angesichts des Eifers seiner Schwester verärgert die Stirn. »Herrin, Ihr begreift wohl, dass es den Untergang Eures Landes als unabhängiges Prinzenreich bedeuten könnte, wenn Ihr meinen Sohn zum Erben von Firon macht.«
Ihre Antwort war ein Achselzucken. »Diese Aussicht gefällt uns tatsächlich nicht sonderlich – bei allem gebotenen Respekt, Hoheit«, wandte sie sich Pol zu, der verständnisvoll nickte. »Doch sie ist tausendmal besser, als von Cunaxa geschluckt zu werden.«
»Ich weiß Eure Position zu schätzen«, sagte Rohan. Die Andeutung eines Lächelns zeigte, dass Lady Eneida sein Wortspiel, mit dem er die geografische Lage von Firon einbezog, zu schätzen wusste: Firon lag unmittelbar neben dem immer hungrigen Cunaxa. »So etwas würde auch uns nicht gefallen. Aber es gibt auch gute Gründe, beispielsweise Prinz Lleyns jüngeren Enkel als Erben einzusetzen: Firon würde unabhängig bleiben.«
Tobin rutschte auf ihrem Stuhl herum und warf ihrem Bruder einen ärgerlichen Blick zu. Maarken, der neben ihr stand, legte ihr unauffällig die Hand auf die Schulter. Er kannte die Neigung seiner Mutter, Besitz ergreifen zu wollen, genauso wie Rohan.
»Dorval ist weit«, sagte Lady Eneida offen, »zehn Tage mit dem Schiff, bei gutem
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