Mondlaeufer
auf zu schimpfen. Du kannst nichts sagen, was ich mir nicht selbst schon vorgeworfen hätte.«
»Als ich dich fragte, ob du einen Drachen berühren kannst, habe ich dich damit nicht gebeten, dein Leben aufs Spiel zu setzen!«
»Nächstes Mal passe ich besser auf.«
»Es wird kein nächstes Mal geben.« Er ging hinüber zu den Fenstern und blickte über den ruhigen See. »Wir haben deinen Schrei bis Threadsilver gehört.«
»Meinen oder ihren?«
»Ist das nicht dasselbe?«, fragte er zurück.
Jetzt schwieg sie. »Vielleicht hast du recht«, gab sie zu. Rohan wirbelte herum. »Ihr Faradh’im redet vom Schattentod. Wenn du dich nun in den Drachenfarben verlierst und dich nicht mehr an deine eigenen erinnerst? Wäre das nicht das Gleiche?«
»Aber das ist doch nicht passiert.«
»Dieses Mal!«
Sie setzte den Kelch ab und faltete die Hände in ihrem Schoß. »Du willst mir verbieten, es noch einmal zu versuchen, nicht wahr?«
»Ich überlege wirklich, ob du es mir nicht feierlich versprechen solltest«, stellte er richtig.
Sioned biss sich auf die Lippen. »Ich habe dich noch nie belogen …«
»Aber du verschweigst mir Dinge, wenn dir etwas wichtig ist. O ja, du bist viel zu aufrichtig, um zu lügen – aber auch viel zu klug, um in eine Lage zu geraten, wo du dazu gezwungen sein könntest. Wir leben einundzwanzig Jahre zusammen, meine Beste, und ich kenne dich wirklich gut.«
Sie antwortete ihm darauf nicht.
»Sioned, es gibt schon jetzt zu viele Gefahren, durch die ich dich verlieren könnte. Ich will nicht noch an eine weitere denken müssen, bloß weil ich diese dämliche Bemerkung über Drachen gemacht habe. Es würde ja nichts helfen, wenn ich es dir einfach verbiete; das weißt du genauso gut wie ich. Ich werde dir auch kein Versprechen abnehmen. Aber dann muss ich deinem gesunden Menschenverstand vertrauen können – und deinem Wunsch, noch zu erleben, wie unser Sohn aufwächst.«
Sie zuckte zusammen. »Das war unfair, Rohan.«
»Ja«, stimmte er zu, »genau wie deine kleinen Geheimnisse.«
Zornig sah sie ihn an. »Na gut, ich verspreche dir etwas. Ich werde es nur dann wieder versuchen, wenn Maarken dabei ist, um mir Rückendeckung zu geben und meine Farben wieder zu ordnen, falls ich mich verliere.«
»So wie du es für Tobin getan hast, als sie damals in das Mondlaufen geriet?«
»Ja. Ich kannte ihre Farben und konnte sie zurückbringen. Ich verspreche dir, dass ich keinen Drachen mehr berühren werde, wenn Maarken nicht da ist, um mich ebenso zu halten. Seid Ihr damit zufrieden, mein Gebieter?«
»Muss ich wohl.« Er verschränkte die Arme. »Ihr seid eine gefährliche Frau, Höchste Prinzessin.«
»Nicht gefährlicher als Ihr, Hoheprinz.« Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. »Wir sind doch ein gutes Paar, oder?«
Rohan schnaubte nur.
Mitten in der Nacht wurden sie alle von Drachenschreien geweckt. Rohan und Sioned sprangen in ihre Kleider und eilten auf den Hof, wo sich die Bewohner von Skybowl verwirrt und ziemlich erschreckt im Fackelschein versammelt hatten. Verschlafen und eingeschüchtert bahnte sich Ostvel einen Weg durch die Menge.
»Ich habe sie noch nie um diese Zeit so schreien hören!«, sagte er zu Rohan. »Was meint Ihr, was da los ist?« Er zog den Kopf ein, als ein weiteres schrilles Heulen durch die Nacht gellte. »O Göttin! Hört Euch das an! Was ist nur los mit ihnen?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Rohan und sah sich um. »Wo ist Pol? Hast du ihn gesehen, Sioned?«
»Nein – aber wenn er rausgerannt ist, um die Drachen anzusehen, dann werde ich ihm wirklich den Hintern versohlen! Walvis!«, rief sie, als sie den Herrn von Remagev entdeckte. »Habt Ihr Pol gesehen?«
Er stellte sich auf ein paar Treppenstufen, sah in die Menge und schüttelte den Kopf. »Und Maarken auch nicht.«
Chay und Tobin kamen gerade in den Hof, sodass sie seine Bemerkung ebenfalls hörten. Tobin fragte Sioned: »Du meinst doch nicht etwa, dass sie jetzt Drachen berühren, oder?«
Sioned wurde blass. »So dumm können sie doch nicht sein! Pol!«, rief sie. »Pol!«
»Hier oben, Mutter!«
Er stand mit Maarken und mehreren Soldaten auf der Galerie des Wachturms von Skybowl. Alle Augen wandten sich ihnen zu, als Rohan hinaufrief: »Was machst du da oben? Komm sofort runter!«
»Aber wir sehen den Drachen zu, Vater! Sie kämpfen am Ufer.«
»Ich will es auch sehen!« Sionell wand sich aus Feylins Armen und rannte zur Treppe des Wachturms.
Rohan drehte sich zu Ostvel um.
Weitere Kostenlose Bücher