Mondlaeufer
»Schickt sie alle wieder rein. Sie können zuschauen, aber keiner darf einen Fuß aus der Burg setzen, bis diese Kerle miteinander fertig sind. Sie greifen jetzt alles an, was sich bewegt.«
»Sogleich, Herr. Aber ich habe noch nie erlebt, dass sie mitten in der Nacht gekämpft haben.«
Die Monde standen hoch am Himmel und tauchten den See in ein blasssilbernes Licht. Von den schmalen Fenstern des Turmes aus konnte man am Ufer zwei Drachen erkennen, deren Zähne und Klauen aufblitzten. Die Flügel waren eng angelegt, und die geschmeidigen Gestalten brüllten sich trotzig an und warfen die Köpfe nach vorn, um einander blutige Fetzen aus der Haut zu reißen. Halbwüchsige Drachen sahen vom Rand des Kraters aus zu: In drei Jahren würden auch sie auf Leben und Tod um den Besitz der Weibchen kämpfen.
Mit Pols Hilfe war Sionell auf eine Fensterbrüstung geklettert. Der Junge hatte einen Arm um sie gelegt, um sie festzuhalten. Keiner der beiden bemerkte, dass ihre Eltern hereingekommen waren, bis Feylin ihre Tochter von diesem gefährlichen Ausguck herunterholte und sie in sicherer Entfernung festhielt.
»Ich konnte gar nicht fallen«, beschwerte sich Sionell. »Pol hat mich festgehalten.«
»Wofür ich ihm sehr dankbar bin«, erwiderte Feylin, »aber du bleibst weg von den Fenstern, Töchterchen.«
Pol stellte sich zu seinen Eltern, die auf einem steinernen Absatz standen, auf dem in Kriegszeiten die Bogenschützen knieten, um ihre Pfeile durch die engen Öffnungen zu schießen. »Was glaubt ihr, welcher gewinnt?«
Beide Drachen waren jetzt verwundet; einer hielt sein linkes Vorderbein seltsam abgespreizt. Er bot einen traurigen Anblick. Sie setzten den Kampf im Flug fort, wodurch sie ihre dreijährigen Zuschauer aufschreckten, die daraufhin gleichfalls mit den Flügeln schlugen. Die Rivalen umkreisten einander, schnappten mit ihren bluttriefenden Kiefern zu und schlugen mit Schwänzen und Klauen aufeinander ein. Kampfschreie gellten durch den Krater, als sie aufeinander losstürzten. Der dunklere Drache erhob sich hoch in die Luft, und einen Augenblick lang dachten alle, er würde das Feld räumen. Doch dann ließ er sich fallen und grub Zähne und Klauen in den Rücken seines Gegners.
Der verwundete Drache heulte vor Schmerz und Wut auf und geriet aus dem Gleichgewicht, als der Schwanz seines Angreifers auf seinen linken Flügel schlug. Man hörte bis zum Wachturm, dass Knochen brachen. Jemand stöhnte mitleidig. Die beiden stürzten zum Ufer hinunter, wo der besiegte Drache sicher auf dem Felsboden zerschmettern würde. Doch er war noch klug und stark genug, die Richtung des Falls leicht zu ändern, sodass die beiden Drachen in den See stürzten. Das Wasser spritzte hoch auf.
Der Sieger erhob sich mit Triumphgeschrei wieder in die Luft, während sein Gegner im Wasser herumtorkelte und vergeblich versuchte, seine gebrochenen Schwingen wieder unter Kontrolle zu bekommen. Die Jungdrachen flogen dem Sieger nach und ließen den tödlich verwundeten Drachen allein zurück.
Rohan war die Stufen hinuntergeeilt, doch nur Sioned und Pol hatten bemerkt, dass er fort war. Als er ans Ufer gelangte, rang er keuchend nach Luft. Blasses Mondlicht schien auf das vom Blut verdunkelte Wasser. Die schwachen Schwimmbewegungen des Drachen ließen nach. Er hatte es schon fast bis zum Ufer geschafft, doch selbst wenn er das Ufer erreichte, würde er sterben müssen. Rohan sah in den riesigen, dunklen Augen, dass der Drache das wusste. Doch er ließ nicht nach und gab nicht auf. Rohans Brust schmerzte, und Tränen traten in seine Augen.
»Es tut mir leid«, flüsterte er. »Es tut mir so leid.«
Er hörte die anderen herbeilaufen und fühlte, wie Sioned seinen Arm berührte. »Können wir ihm helfen?«, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Der Flügel ist gebrochen, und er hat zu viel Blut verloren.«
»Vater – bitte«, sagte Pol leise. »Schau dir doch seine Augen an.«
»Können wir nicht wenigstens seine Schmerzen stillen?« Sioned drückte Rohans Arm fester.
Der Drache stöhnte. Ein Echo erklang von jenseits des Kraterrands, wo Scharen anderer Drachen seinen Tod betrauerten. Kein Flügel zeichnete sich am nächtlichen Himmel über Skybowl ab, doch das Drachenlied schwoll an und ließ alle erschauern, als wenn es auf dem Wind ihrer Flügelschläge herbeigetragen worden wäre.
Mit belegter Stimme sagte Rohan: »Bringt mir ein Schwert.«
»Nein«, murmelte Chay. »Du hast es gelobt, Prinz: Nie wieder. Kein Drache mehr
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