Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
hinaussegeln kann, weil dann alles auf dem Kopf steht. Wie kommt es, dass ein Mädchen in Eurem Alter über derartige Dinge Bescheid weiß?«
    Eigentlich hätte sie ihn gern noch etwas raten lassen, aber Suleiman befand sich in der Obhut der viel geprüften Doña Maria, und Layla wollte ihre Gutmütigkeit nicht über Gebühr ausnutzen, also beschloss sie, es kurz zu machen.
    »Der Emir Said war mein Großvater«, erwiderte sie, und diesmal war sie es, die mit Ungläubigkeit rechnete, »und Ibn Alaimans Schiffsmodelle stehen noch in der Alhambra. Und jetzt sagt mir noch Euren Namen, damit ich Fray Hernando darauf aufmerksam machen kann, dass Ihr hier draußen wartet.«
    Zu ihrer Überraschung erheiterte ihn ihre Eröffnung. »Die Erde ist voller Zeichen und Wunder, fürwahr«, meinte er mit zuckenden Mundwinkeln. »Also, Doña Morisca, mein Name ist Cristobal Colón, und ich werde Euch ewig segnen, wenn Ihr den Beichtvater der Königin dazu überredet, mich nicht länger warten zu lassen.«

    Fray Hernando de Talavera saß hinter einem großen Tisch und studierte mit gerunzelter Stirn Dokumente, als sein Sekretär Layla einließ. Er schaute auf und lächelte.
    »Ah, meine Tochter, es freut mich, dass Ihr gekommen seid. Wartet noch ein wenig, es dauert nicht lange.«
    Layla erwähnte den Mann, der draußen wartete. Talavera seufzte und setzte sich ein Gestell auf die Nase, das sie noch nie zuvor gesehen hatte. Es glich einer Gabel mit zwei runden Glä sern; nach einigem Überlegen entschied sie, dass es sich um eine »Brille« handeln musste. Dass geschliffene Gläser die Sicht verbessern können, war ihr bekannt; sie hatte auch schon von Brillen gehört, aber noch nie erlebt, dass jemand sie trug.
    Sowohl moslemische als auch kastilische Männer lehnten derartige Gestelle als würdelos und hinderlich im Kampf ab; die Frauen, soweit sie um die Existenz einer »Brille« wussten, empfanden sie als entstellend. Layla versuchte sich al Zaghal oder Don Sancho Ximenes de Solis mit einem Gestell auf der Nase vorzustellen und unterdrückte mit Mühe ein Kichern. Ihre Belustigung verschwand allerdings völlig, als sie sich erinnerte, dass es hieß, ihr Vater sei so gut wie blind geworden.
    »Ich weiß«, sagte Talavera und brachte ihre Gedanken wieder zu dem wartenden Seefahrer zurück, »dieser Genuese, Christoforo Colombo.«
    »Ich dachte, sein Name sei Colón.«
    »Er hat ihn kastilisiert, wie viele Fremde, die in den Dienst der Könige treten möchten. Ich habe hier die Dokumente vor mir, die er eingereicht hat. Der Mann kann überhaupt nicht rechnen oder er hat einfach keine richtige Ausbildung. Die Entfernung zwischen den Kanarischen Inseln und Zipangu beträgt nie und nimmer nur zweitausendvierhundert Meilen. Schade, denn eine Westroute nach Indien würde den Handel zum Blühen bringen. Aber das braucht uns jetzt nicht zu kümmern, mein Kind.«
    Sie ahnte, was kam, und versuchte, es noch etwas aufzuschieben. »Aber Ihr stimmt ihm doch zu, dass es eine Westroute geben muss, weil die Erde schließlich rund ist.«
    »Selbstverständlich ist die Erde rund«, antwortete Talavera mit einer wegwerfenden Handbewegung, »jeder gebildete Mensch weiß das heutzutage, nur die Bauern nicht. Die Schwierigkeit liegt in der Größe. Ich kann den Majestäten nicht raten, jemanden zu unterstützen, der so widersprüchliche Zahlen liefert. Doch nun zu Euch.«
    Layla schaute auf ihre sittsam gefalteten Hände, und ihr fiel auf, dass ihre rechte Hand die linke verdeckte, an der sie den Silberring trug. Die Wunde am Gelenk hatte sich längst geschlossen, aber zurückgeblieben war eine kreisförmige Narbe. Unwillkürlich zog sie ihre Stirn in Falten. Längst? Sie hatte sich im letzten Winter geschlossen. Nach ihrem Geburtstag.
    »Vor siebzig Jahren«, sagte Talavera, »als der Großvater unserer Königin noch ein Kind war, wurde in Kastilien ein Gesetz über die Juden und Mauren erlassen. Ihnen wurde verboten, mit Christen zu handeln, für Christen als Handwerker zu arbeiten, den Arzt- oder Apothekerberuf zu erlernen, ihren Wohnort zu verändern. Daraufhin flohen die meisten Mauren, die noch in Kastilien lebten, nach Granada. Viele der Juden, die ihre Heimat nicht verlassen wollten, entschieden sich für den Übertritt zum christlichen Glauben. Sie wurden conversos, aber die meisten von ihnen behielten heimlich die mosaischen Gesetze bei.
    Vor fünf Jahren beschloss die heilige Inquisition, streng gegen alle solche conversos vorzugehen. Seine

Weitere Kostenlose Bücher