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Mondlaub

Titel: Mondlaub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Eminenz, der Kardinal, und ich waren der Meinung, ein converso, der unter solchen Umständen Christ geworden war, sei nicht wirklich der Ketzerei schuldig, da er nie die Gelegenheit hatte, den wahren Glauben durch Überzeugung kennen zu lernen. Wir schlugen damals vor, in alle Gemeinden Prediger zu schicken, um die conversos zu unterweisen. Leider schloss sich der König der Meinung unseres geschätzten Mitbruders Torquemada an, der für Ketzerei, ganz gleich, aus welchen Gründen sie entsteht, nur das Feuer als Ausweg sieht.«
    Er hielt inne; sie sagte nichts. Vor ihr stand das Bild der sieben Verurteilten in ihren rot bestickten Hemden, den Strick um den Hals und eine erloschene Kerze in der Hand. Der Mönch winkte seinem Adlatus und flüsterte ihm leise etwas zu, worauf der Sekretär hinausging.
    »Warum sagt Ihr mir das, Pater?«, flüsterte Layla. »Ich meine, ich verstehe, was Ihr mir damit sagen wollt, aber warum mir? Warum widmet Ihr mir so viel Aufmerksamkeit?«
    Talavera trommelte nervös mit seinen Fingern auf das Holz.
    »Weil Ihr mir Sorgen macht, Lucia. Da ist etwas an Euch - nicht nur Eure Herkunft -, ich weiß nicht. Ihr seid noch sehr jung, doch Ihr kommt mir vor wie jemand, der über einen schmalen Felsgrat wandert, und ich möchte vermeiden, dass Ihr stürzt«
    Plötzlich faltete sich sein Gelehrtengesicht in ein wohlwollendes Lächeln. »Wer weiß, vielleicht sehe ich in Euch auch das Symbol meiner zukünftigen Aufgabe. Die Königin hat mir das Bistum von Granada versprochen, und ich will die Mauren so bekehren, dass es später keine conversos gibt, welche von der Inquisition untersucht werden müssen.«
    Er meinte es gut; wahrscheinlich war er sogar der einzige selbstlose Mensch, dem sie je begegnen würde. Aber alles, was sie im Moment spürte, war weiß glühender Zorn über die Selbstverständlichkeit, mit der an diesem Hof bereits Granada verteilt wurde.
    Sie wirbelte herum und stürmte hinaus, da sie sich nicht länger zutraute, ihr bisschen Selbstbeherrschung zu wahren.

    In der darauf folgenden Woche kam ein Brief von Don Sancho Ximenes de Solis für sie an, was sie verblüffte. Der alte Mann hatte ihr nie geschrieben, ebenso wenig, wie sie ihm schrieb; im letzten Jahr hatte sie lediglich einen Monat in seinem Krötentempel zugebracht, um ihre Mutter zu besuchen.
    Er informierte sie mit dürren Worten, dass seine Tochter, ihre Mutter, aus ihrer Starre erwacht war, als sie von den Ereignissen in Granada hörte. Sie hatte ihm mitgeteilt, jetzt würde sie zu ihrem Gemahl gehen, und war kurzerhand abgereist. Das war alles. Er fügte noch hinzu, er sei um der Familienehre willen bereit, seine Enkelin weiter mit Geldmitteln zu unterstützen, aber er wünsche weder sie noch seine Tochter jemals wieder zu sehen.
    Also war es ihr noch einmal gelungen, sich zurückzuverwandeln, dachte Layla fassungslos, als sie mit dem Brief in der Hand in einer der Fensternischen kauerte; sie war von der Taubstummen wieder zu Isabel und von Isabel wieder zu Zoraya geworden, falls es Zoraya je gegeben hatte. Sie hatte die Gefahr auf sich genommen, durch ein kriegszerrissenes Land zu reisen, um Abul Hassan sterben zu sehen. Aus Liebe? Aus Mitleid? Aus Hass? Das spielte für Layla keine Rolle mehr, denn eines war überdeutlich: Isabel hatte nicht einen Gedanken daran verschwendet, ihre Tochter mit sich zu nehmen.
    Sie hatte Layla in dieses Land gebracht und aus ihr eine Fremde gemacht, und anschließend hatte sie das Mädchen auf unüberbietbare Weise im Stich gelassen, gleich zweimal hintereinander; durch ihren freiwilligen Rückzug in ihre stumme Welt und durch ihre letzte Verwandlung.
    Früher hatte Layla geglaubt, ihre Mutter hasse sie, und sich gewünscht, dass sie anstelle von Tariq gestorben wäre; das war schwer genug zu ertragen gewesen, doch jetzt gelangte sie zu der Überzeugung, dass sie Isabel schlicht und einfach gleichgültig war, außer als ein Werkzeug ihrer Rache.
    Sie legte den Kopf auf die Knie und begann zu weinen. Um Tariq, um ihre verlorene Kindheit und schließlich auch um sich.
    Tränen, die sie so lange unterdrückt hatte, dass sie nur zögernd und stoßweise kamen. Sie halfen nicht das Geringste; wenn überhaupt, dann machten sie alles noch schmerzhafter.
    »Ich glaube, Ihr habt etwas verloren, Doña Lucia?« Jemand hielt ihr den Brief hin, den sie auf den Boden fallen gelassen haben musste. Rasch fuhr sie sich mit dem Handrücken über die Augen und griff nach dem Schreiben.
    »Ja, danke,

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