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Mondmädchen

Mondmädchen

Titel: Mondmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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Zeit, mich wie ein Baby zu behandeln. Aber ich bin jetzt schon neun und ich will nicht mehr in ihrer Kammer schlafen oder ›kleiner Marcus‹ genannt werden.«
    Hatte Octavia deshalb am Tag, als das Fieber anfing, so traurig und nervös gewirkt? Seine Bekundungen von Unabhängigkeit freuten mich, aber ich nahm an, dass sie Octavia ebenso verletzt hatten. Es gefiel mir gar nicht, dass einer von uns diejenige verletzen könnte, die für unsere Sicherheit hier bürgte, aber es gab nichts, was ich tun konnte. Ptoli wurde eben langsam groß.
    Ich verbrachte den Großteil meiner Zeit damit, ihm seine Lieblingsstellen aus den Schlachten der Ilias vorzulesen. Seine Begeisterung für die blutrünstigen und grausamen Teile des Epos schien nie nachzulassen. »Lies die Stelle, wo Menelaos den Peisandros mit dem Schwert so fest auf den Kopf haut, dass seine Augäpfel rausfallen!«, verlangte Ptoli.
    Ich lächelte, weil es mich immer wieder erstaunte, was für ein unglaubliches Gedächtnis Ptoli hatte, soweit es die grausamen Szenen anbetraf. Aber dann sorgte ich mich gleich wieder, weil ich bemerkte, dass er vor Erschöpfung die Augen geschlossen hatte, nachdem er seine Bitte vorgebracht hatte. In dem Augenblick kam Juba herein. »Guten Morgen, junger Achilles!«, sagte er.
    Ptoli schlug die Augen auf und lächelte ihn an. Es war das erste Mal, dass ich Juba begegnete, nachdem ich versucht hatte, ihn zu küssen. Ich war so von meiner Sorge um Ptoli abgelenkt gewesen, dass ich die ganze peinliche Geschichte schon fast vergessen hatte. Aber nur fast.
    »Auch dir einen guten Morgen, Kleopatra Selene«, sagte Juba lächelnd.
    »Guten Morgen«, murmelte ich und gab vor, die Textstelle in der Schriftrolle verloren zu haben und sie nun wieder suchen zu müssen.
    »Juba, du kommst doch sonst immer nur, wenn Alexandros hier ist«, sagte Ptoli. »Du bist früh dran.«
    Beschämung breitete sich in meinem Inneren aus bei dieser Bestätigung, dass Juba tatsächlich versucht hatte, mir aus dem Weg zu gehen. Ich suchte weiter in der Schriftrolle, damit ich ihn nicht ansehen musste.
    »Lies weiter!«, forderte Ptoli mich auf und schloss wieder die Augen.
    Ich las, bis er eingeschlafen war, was nicht lange dauerte. Währenddessen war ich mir die ganze Zeit bewusst, dass Juba mich beobachtete. Als ich aufhörte zu lesen, war das einzige Geräusch im Raum Ptolis Atem.
    »Kleopatra Selene«, sagte Juba leise. »Ich möchte mich entschuldigen für …«
    »Nein«, sagte ich. »Bitte nicht. Es ist schon vergessen.« Ich lächelte ihn freundlich an. »Wirklich, das ist doch schon eine Ewigkeit her. Wir müssen das jetzt nicht wieder ausgraben.«
    Juba senkte den Blick. »Es ist nur, dass …«
    Bei den Göttern! Ich ertrug es nicht, das jetzt alles wieder aufzuwärmen! »Und warum bist du heute schon am Vormittag gekommen, wenn du Ptoli sonst erst später besuchst?«, unterbrach ich ihn in dem verzweifelten Versuch, das Thema zu wechseln.
    Er hielt inne und holte tief Luft. »Ich gehe heute Abend zu einem Festmahl bei Varro.«
    »Bei dem Gelehrten Varro?«
    »Ja, er ist einer meiner Förderer. Wir feiern die Veröffentlichung meines ersten Buches.«
    »Ich wusste ja gar nicht, dass du an einem Buch gearbeitet hast! Wie heißt es denn?«
    Er lächelte verlegen. »Oh, ich dachte, das hätte ich dir schon erzählt. Es heißt Römische Altertümer .«
    Wieder einmal verspürte ich diesen seltsamen Anflug von Zorn, den ich gegenüber Juba normalerweise zu unterdrücken versuchte. »Und warum schreibst du eigentlich nicht über numidische Altertümer oder die großen Schlachten deines Großvaters?«, fragte ich ihn.
    Er zog die Augenbrauen in die Höhe und starrte mich verwundert an.
    »Es tut mir leid«, sagte ich und senkte den Blick. Warum konnte ich nur den Mund nicht halten? »Es ist eine beeindruckende Leistung, ein Buch zu veröffentlichen. Erzähl mir bitte mehr davon.«
    Er zog sich einen hölzernen Schemel heran und wir sprachen angeregt über das Buch und die positiven Kritiken, die er bereits dafür bekommen hatte. Seine Augen leuchteten, während er sprach, und ich verstand jetzt erst richtig, dass Juba in seinem Innersten ein Gelehrter war. Wie sehr ihm unsere große Bibliothek gefallen hätte , dachte ich wieder einmal. Wie sehr es mir gefallen hätte, sie ihm zu zeigen und ihn unseren berühmten Philosophen vorzustellen!
    Aber dieses Leben erschien mir jetzt nur noch wie ein Traum. Und so konzentrierte ich mich auf die Gegenwart – auf die

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