Mondmädchen
mir, hast du heute schon mit deinem Bruder gesprochen?«
»Nein.« Ich hatte nach ihm gesucht, nachdem ich mit Juba zurückgekehrt war, aber er war nirgends zu finden. Ebenso wenig wie Julia.
Er grunzte. Der beunruhigende Blick aus seinen grauen Augen schien mich zu durchbohren, als könnte er meine Gedanken lesen. Ich setzte eine ungerührte Miene auf und dachte an Mutters Fertigkeiten in diesem Spiel.
»Was weißt du über Cornelius Gallus?«, fragte er.
»Über wen?«
Er zeigte sein teuflisches Grinsen. »Du bist zu schlau, um dich so dumm zu stellen, Selene. Sag mir, was du weißt.«
»Ich weiß, dass du ihn zum Statthalter von Ägypten ernannt hast«, sagte ich.
»Und sonst noch?«
»Meine Amme hat Gerüchte gehört.«
»Und was besagten diese Gerüchte?«
»Dass er gestorben ist.«
»Und weißt du auch, wie er gestorben ist?«, fragte er und legte die Fingerspitzen zusammen, sodass seine Hände ein Dreieck bildeten.
»Durch Selbstmord.«
Er starrte mich an und das Schweigen zog sich in die Länge. Schweiß lief mir das Rückgrat hinunter.
»Nicht ganz. Es scheint, dass mein guter Freund Cornelius der Meinung war, er hätte mehr Macht und Anerkennung verdient, als ich ihm bereits zugeteilt hatte«, sagte er mit leiser Stimme. »Der Narr. – Deshalb«, fuhr er fort, »habe ich ihn hinrichten lassen.«
Ich holte tief Luft. Er grinste hämisch. »Die offizielle Version ist natürlich, dass er sich ›in sein Schwert gestürzt‹ hat. In jedem Fall gehört mir jetzt, dank seiner Unfähigkeit und Dummheit, auch sein ganzer Besitz. Ist doch ganz gut gelaufen für mich, findest du nicht?«
Ich unterdrückte ein Schaudern. Octavian erhob sich und ging um mich herum. Ganz nah. Warum kam er mir so nah? Jede Faser meines Körpers wollte angewidert zurückweichen, doch ich konzentrierte mich ganz darauf, gleichmäßig zu atmen. Der Mann lebte von der Angst anderer. Ich würde ihm keine Nahrung geben.
»Meine Spione sagen, dass jemand aus meinem eigenen Haus in diese Verschwörung verwickelt sein könnte, sich Ägypten anzueignen«, sagte er leise, während er hinter mich trat. »Dein Bruder sagt, er wüsste von nichts. Ich glaube ihm.«
Er umrundete mich weiter und stand wenige Fingerbreit vor meinem Gesicht. »Und weißt du, warum ich deinem Bastard von Bruder glaube? Weil von euch beiden du diejenige bist, die einfältig genug ist, sich mir zu widersetzen.«
Ich gab mir große Mühe, einen Ausdruck unschuldiger Verwirrung aufzusetzen. »Ich verstehe nicht, wovon du sprichst …«
Er lachte leise in sich hinein und es war, als hätte Amut der Zerstörer leise knurrend den Raum betreten. Er kam mir noch näher, sodass ich all meine Selbstbeherrschung zusammennehmen musste, um nicht vor ihm zurückzuweichen.
»Dein Wein, Herr«, verkündete Thyrsus und kam herein.
Octavian trat einen Schritt zurück. »Danke. Du kannst jetzt gehen.«
Thyrsus zögerte. »Herr, die Domina bittet um deine Anwesenheit in ihrem …«
Er schnaubte. »Geh.«
Thyrsus ging, nicht ohne noch einmal zu mir zu schauen. Octavian packte die Weinkaraffe am Hals und schenkte sich einen Becher ein. »Möchtest du auch etwas?«, fragte er mit übertriebener Höflichkeit.
»Nein, danke.«
Er stellte sich wieder direkt vor mich und ich konnte den scharfen Geruch des Weines in seinem Atem riechen. »Ich werde die Wahrheit herausfinden«, sagte er. »Aber bis dahin habe ich beschlossen, dass ich dich verheiraten und dich auf diese Weise aus meinem Haus entfernen werde.«
»Was?« Mein Herz klopfte heftig. Wie jedes Familienoberhaupt konnte Octavian in dieser Beziehung völlig frei über mich verfügen. »Aber … aber du hast doch das Gesetz geändert und das Heiratsalter für Mädchen auf achtzehn Jahre heraufgesetzt! Ich bin erst …«
»Oh, ich weiß schon, was ich getan habe. Aber diese Gesetze gelten nicht für dich, da du keine wahre Tochter Roms bist.« Er nahm einen Schluck Wein und leckte sich dann die Lippen. »Es gibt ein paar Senatorensöhne, die ihr Interesse bekundet haben, aber denen möchte ich dich nicht zumuten. Du würdest sie bei lebendigem Leib auffressen. Deswegen werde ich dich an einen Mann verheiraten, der zuerst dich bei lebendigem Leibe frisst – Placus Munius Corbulo der Ältere.«
Ich holte erschrocken Luft. Corbulo war der faltige, glatzköpfige, tatterige Mann, den ich vor langer Zeit einmal mit ihm im Garten gesehen hatte. Er musste beinahe sechzig sein!
»Ein widerlicher alter Lüstling, aber er ist
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