Mondmädchen
dich erzählt, weil es so scheint, als ob dein Liebhaber selbst genug dafür tut, sich ins Unglück zu reiten. Sobald Octavian das bemerkt, wird er endlich einsehen, was für eine schlechte Entscheidung es war, Marcellus zu seinem Erben zu ernennen. Dann wird Tiberius die einzig vernünftige Wahl sein.«
»Und warum erzählst du mir das?«, fragte ich.
»Weil ich dich warnen muss.«
»Und wovor?«
»Vor Octavia.«
»Octavia?« Ich lachte.
»Ja. Marcellus ist ihr einziger Sohn. Wenn sie entdeckt, dass ihr geliebter Junge sich in die Tochter der Frau verliebt hat, die ihr den Ehemann ausgespannt hat …«
Livia war so durchschaubar, dass ich ihr fast ins Gesicht gelacht hätte. Wenn sie dachte, sie könnte mich gegen Octavia aufwiegeln – gegen die Frau, die meiner Mutter das heilige Versprechen gegeben hatte, für unsere Sicherheit zu sorgen –, dann hatte sie sich leider getäuscht.
Ich sagte: »Ich verstehe nicht, was du meinst.«
Sie seufzte. »Vielleicht ist es besser so. Ich denke, wir beenden das hier jetzt.«
Mein Rückgrat versteifte sich vor Zorn. Ich würde nicht weggehen ohne das, was rechtmäßig mir gehörte. »Die Briefe, bitte.«
»Oh, nein. Die wandern ins Feuer.«
»Gib sie mir«, forderte ich und stand auf.
Sie hob eine Augenbraue und lehnte sich zurück.
»Dann werde ich sie mir eben nehmen!« Ich streckte die Hand aus und schnappte nach den Rollen. Ich rollte eine auf und hätte den Papyrus in der Eile fast zerrissen. Leer. Ich öffnete eine andere. Und noch eine.
»Du unterschätzt mich, wenn du glaubst, dass ich sie behalten würde, damit sie irgendjemand finden könnte«, höhnte Livia. »Nein. Ich habe alle gleich nach ihrer Ankunft hier verbrannt, außer einem oder zwei, die ich verwenden kann, um Marcellus zu belasten.« Sie erhob sich. »Ich hoffe, dass ich sie nicht brauchen werde, aber falls es nötig ist, wäre ich dazu bereit. Noch einmal, du kannst jetzt gehen.«
Ich wandte mich um und ging, wobei ich ihre hasserfüllten Blicke spürte, die meinen Rücken wie die Pfeile einer ganzen Schar von Bogenschützen durchbohrten.
Livia fing auch weiterhin alle meine Briefe ab – zumindest vermutete ich das, da ich nie etwas erhielt, weder von Juba noch von Marcellus. Aber es waren vor allem Jubas Briefe, die ich lesen wollte.
Ich brannte vor Neugier. Numidien war schon seit Jahrzehnten eine römische Provinz, die von einem römischen Statthalter regiert wurde. Wie dachte dieser Statthalter darüber, nun plötzlich von einem Vasallenkönig ersetzt zu werden? Und was war mit den Numidern selbst? Betrachteten sie Juba als romtreuen Verräter oder hießen sie ihn als wahren Sohn Numidiens willkommen? Die Ernennung von Juba zum König brachte eindeutig das Risiko mit sich, die ganze Region in Unruhe zu versetzen. Und doch – irgendwie – war es Juba gelungen, Octavian zu überzeugen, dieses Risiko einzugehen. Aber wie?
Sooft ich Alexandros deswegen befragte, zuckte er nur mit den Schultern. »Er erzählt mir keine Einzelheiten«, sagte er. »Er schreibt vor allem davon, wie die Schlachten verlaufen.«
Ich wusste, ich hätte stolz auf Juba sein und mich für ihn freuen sollen. Stattdessen empfand ich ein brennendes Gefühl des Verlustes. Er hatte mich bei seiner neuen Aufgabe als Gefährtin an seiner Seite haben wollen. War es ein Fehler gewesen, dass ich ihn zurückgewiesen hatte? Mein Herz sagte Ja, aber mein Verstand kehrte immer wieder zurück zu der Vision bei meiner Initiation. Ich war von Juba fort und zu Marcellus gegangen. Wie viel deutlicher hätte die Göttin es mir sonst zeigen sollen? Ägypten war meine Bestimmung, nicht Numidien.
Und doch musste ich immer weiter an ihn denken. Einmal träumte ich, wir lägen nackt unter einem Baldachin auf einer Terrasse, die zum Meer hinausging. Die Geräusche des Meeres, die leisen Schreie der Möwen, das Flattern der seidenen Tücher vor den Fenstern – es war, als wäre ich mit ihm nach Alexandria zurückgekehrt. Aber es war nicht Alexandria, denn mein geliebter Leuchtturm war nicht da.
Schläfrig drehte er sich zu mir um. »Meine Königin«, flüsterte er. Ich lächelte ihn an und beugte mich über ihn, um meinen Mund auf seinen zu drücken, wobei ich flüsterte: »Mein König.«
Ich wusste nicht, wie ich diese Träume deuten sollte. Spiegelten sie nur meine Wünsche wider oder wollte die Göttin mich tadeln, weil ich sein Angebot nicht angenommen hatte? Wie sollte ich das wissen? Wieder wünschte ich, ich hätte mit der
Weitere Kostenlose Bücher