Mondmilchgubel Kriminalroman
Lachen nicht mehr aufhören. Die Tränen laufen ihr über die Wangen, und jedes Mal, wenn sie Möller ansieht, prustet sie von Neuem los.
»Na ja, wenigstens konnte ich Sie heute Abend zum Lachen bringen.« Er steht auf, streckt seine langen Glieder. »Ach übrigens, Brunner behauptet, dass Sie ihm gedroht haben.«
»Stimmt«, erwidert sie spöttisch. »Steckt nicht in jedem Mensch ein potentieller Mörder?«
Er blickt sie forschend an.
»Die einen begehen einen Mord, die anderen träumen davon, einen Mord zu begehen, und die dritten beschäftigen sich beruflich mit Mördern.«
»Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?«, lenkt Möller um.
»Nur zu.«
»Warum verabscheuen Sie Brunner?«
»Vielleicht, weil er mir keine Chance gegeben hat, ihn zu mögen.«
»Wie hat er auf Ihre Drohung reagiert?«
»Er ist zornig geworden.«
»Wurde er handgreiflich?«
»Nein, aber ich muss zugeben, dass seine Drohgebärde mir Angst gemacht hat.«
»Halten Sie sich bitte von ihm fern. Eine Tragödie genügt, meinen Sie nicht auch?«
Kapitel 11
Als Manuel Vinzens bei Viktoria auftaucht, ist es tiefste Nacht. Sie beobachtet unter der Veranda, wie der klein gewachsene Mann mit dem schmalen Gesicht und der auffällig langen Nase auf sie zukommt. Er und Iris hätten ein schönes Paar abgegeben. Seine Traurigkeit schnürt ihr das Herz zu. Sie umarmt ihn, wiegt ihn wie ein Kind, so lange, bis sein Schluchzen versiegt. Dann schiebt sie ihm Möllers noch volles Glas zu.
»Trink, das wird dir guttun.« Er gehorcht widerstandslos. Sie mustert ihn, um ein Gefühl für sein Befinden zu bekommen. Seine blauen, dicht bewimperten Augen glänzen. Sie sieht, wie er aus seiner gelben Segeltuchtasche eine Fotografie herauszieht.
»Für dich. Zum Andenken.«
»Danke, Manuel.« Die Aufnahme zeigt Iris, wie sie verträumt in die Ferne blickt. Dieser Blick war typisch für sie. Vielleicht lag es an ihrem schmalen Gesicht, weshalb ihre grünen Augen so unwirklich groß erschienen. Das kurz geschnittene Haar weckte in einem das Bedürfnis, es berühren zu wollen. Sie war nicht im klassischen Sinn schön, doch sie hatte etwas Anrührendes, Verlorenes, etwas, das einen dazu veranlasste, sich ihr anzunehmen. »Sie fehlt mir sehr.« Sie langt über den Tisch, drückt seine Hand, doch sein Blick ist ausdruckslos. Fragen schießen ihr durch den Kopf, doch sie will ihm Zeit geben, sich auszusprechen.
»Ich hatte in meinem Leben einige Liebesbeziehungen«, beginnt er stockend. »Die Frauen blieben nie lange. Ich habe diese unverbindlichen Begegnungen genossen.«
Sie wartet. »Warum?«, fragt sie nach einer Weile.
Er schaut sie fragend an.
»Warum hast du sie genossen?«
»Ich wollte mich nicht festlegen.«
»Und wie war es mit Iris?«
Ein Lächeln streift sein Gesicht. »Sie war nicht ganz zu haben.« Nach einer Pause fügt er hinzu. »Wir waren uns ebenbürtig.«
»Fühltest du dich deshalb zu ihr hingezogen?«
»Sie wühlte mich auf. Meine Gedanken kreisten unablässig um sie. Ich genoss es, dass sie mir ihr Inneres nur in kleinen Dosen offenbarte. Ich wollte, dass sie für mich ein Geheimnis bleibt. Glaubst du an die große Liebe?«
»Ja.«
»Iris war meine große Liebe.«
»Du bist noch jung, Manuel.«
»Es gibt in jedem Leben nur eine große Liebe«, erwidert er bekümmert.
»Ich bin mir nicht sicher. Als mein Mann starb, hatte ich das Gefühl, als habe man mir ein Stück Leben herausgerissen. Und trotzdem habe ich mich wieder verliebt.«
»Nicht alle sind so stark wie du«, erwidert er schleppend. »Das Schicksal ist so ungerecht.«
»Ja, da hast du wohl recht.«
»Kann man mit einem Loch im Herz weiterleben?«, fragt er verzweifelt.
»Ja«, erwidert sie ernst.
»Unter welcher Bedingung?«
»Man muss akzeptieren, dass das Loch immer dableiben wird. Man muss bereit sein, das Leben um das Loch herum einzurichten.«
»Was bringt einen Menschen dazu, einen anderen einfach auszulöschen?«
»Ich wünschte, ich wüsste es.«
»Das Leben ist voller böser Überraschungen. Jeden Moment Glück müssen wir mit einer Träne bezahlen.«
Sie will ihn trösten, doch ihre Kehle ist wie zugeschnürt. »Wusste Kuno über eure Beziehung Bescheid?«
»Ich bin mir nicht sicher.«
»Könnte es sein, dass Iris ihrem Mann eure Liebesbeziehung gestanden hat und deshalb sterben musste?«
Manuel stöhnt auf, schlägt sich die Hände vors Gesicht. »Ich bin schuld an ihrem Tod.«
Auch Viktoria hat sich schuldig gefühlt, als
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