Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
Kreutz-Fortmann blieb verschwunden und so sah sich Maria einige Tages später gezwungen, Hanns nach dem Abendessen abzufangen und ihn um Hilfe zu bitten.
„Es gibt da etwas, das ich dich unter vier Augen fragen müsste!“, sagte sie.
Es war ihr sehr peinlich, eine Hoheit auf diese Art und Weise anzuquatschen, und da half es auch nichts, dass Hanns, der mit Maria kaum vertraut war, ins Stottern verfiel, als er ihr antwortete:
„Da-das ist kein Problem, ko-komm nur mit!“
Maria folgte Hanns beklommen aus dem Hungersaal und als sie sah, was ihre Freundinnen für Gesichter machten, wurde sie rot. Sie würde das später erklären müssen, was nicht ganz einfach war, denn ihre Freundschaft zu General Kreutz-Fortmann hatte sie bisher nicht erwähnt. Was daran lag, dass General Kreutz-Fortmann zu seinen Lebzeiten ein extrem grausamer Kerl gewesen sein sollte, wenn man glaubte, was in den Geschichtsbüchern stand. Doch immer, wenn er Maria in der Spiegelwelt besucht hatte, war er ausgesprochen höflich und dienstbereit gewesen. Ein Widerspruch, über den Maria einfach nicht nachdenken wollte, und deswegen hatte sie nie darüber gesprochen.
„Also, wa-was ist?“, fragte Hanns, nachdem er und Maria ein gutes Stück Weg in Richtung der Wirtschaftsräume zurückgelegt hatten, wo sich gerade niemand aufhielt.
„Es geht um General Kreutz-Fortmann“, sagte Maria und schaute Hanns erwartungsvoll an.
„Ja, was ist mit ihm?“
„Hast du ihn aufgeweckt und beschworen?“, fragte Maria.
„Wa-warum willst du das wissen?“
Maria schaute sich im Halbdunkel der Halle um, in der sie standen. Stand auch niemand hinter einer Säule herum, um sie zu belauschen?
„Es hört uns keiner zu“, sagte Hanns, der ihre Gedanken erraten hatte.
„Gut. Es ist nämlich so: Dieses Gespenst von General Kreutz-Fortmann ist ein guter Freund von mir.“
„Wirklich?“, fragte Hanns überrascht. „Ich dachte, du hast Angst vor Ge-gespenstern?“
„Normalerweise schon. Aber der General besucht mich manchmal und dann sieht er gar nicht gespenstisch aus.“
„Ach ja?“
„Jetzt ist er aber seit Monaten verschwunden. Ich frage mich, ob er vielleicht neu beschworen werden muss? Lisandra hat mir erzählt, dass Gespenster regelmäßig beschworen werden müssen, damit sie nicht eingehen!“
Hanns brach in Gelächter aus.
„Warum lachst du?“, fragte Maria verwundert.
„Weil ein ge-gewöhnlicher Geist wie Kreutz-Fortmann nicht beschworen werden muss. Den setzt man in Gang und da-dann spukt er, solange er Lust dazu hat. Es ist ein Unterschied, ob jemand nur spukt oder ob man versucht, ihm ein neues Leben zu geben.“
„Dann liegt es nicht daran, dass seine Beschwörung abgelaufen ist?“
„Nein, ganz si-sicher nicht“, sagte er. „Es liegt daran, dass ich ihn in sein Grab zurückgeschickt habe.“
„Hast du? Warum?“
„Ich wo-wollte nicht, dass er mir in die Quere kommt. Es ist verboten, Tote aufzuwecken, bei dem General sowieso. Ich hätte Ärger be-bekommen können!“
„Weck ihn wieder auf! Bitte!“
Hanns hörte zu lachen auf und sah Maria neugierig an.
„Wa-was findest du am General?“
„Wir sind Freunde!“
„Merkwürdig.“
„Bitte, Hanns! Er hat niemanden gestört. Selbst Grohann hat irgendwann aufgehört, nach ihm zu suchen.“
Hanns schien nachzudenken und Maria tat ihr Bestes, um ihn nicht dabei zu stören. Irgendwann hatte Hanns einen Beschluss gefasst.
„Also gu-gut“, sagte er. „Wenn dir so viel an ihm liegt. Aber ich muss einen günstigen Zeitpunkt abwarten.“
„Oh, danke, Hanns! Danke!“
Hanns hielt Wort. Als Maria zwei Tage später in ihre Spiegelwelt kletterte, wartete der General in alter Frische auf sie. Nicht als hässliches, totes Gespenst, sondern als lebendige Person in Uniform mit einer gesunden Gesichtsfarbe und einem wachen Blick. Er verlor kein Wort darüber, dass er fort gewesen war. Maria hielt es sogar für möglich, dass er gar nichts davon wusste, und sie wollte ihn nicht erschrecken, indem sie danach fragte.
„Schön, Sie zu sehen, Herr General“, sagte sie nur. „Ihre Zeitung liegt schon bereit. Setzen Sie sich, ich koche Tee.“
Der General bestand darauf, erst im Garten nach dem Rechten zu sehen (was auch immer er damit meinte), doch er kam, als der Tee fertig war und Maria schon auf ihrem roten Sofa saß. Er bedankte sich untertänig für sein Getränk und nahm auf seinem Sessel Platz, so wie früher. Es erfüllte Maria mit tiefem Frieden, dass es so war.
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