Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
geglaubt, Perpetulja hinge schwerelos an einem nächtlichen Himmel über einem Wald im Mondenschein.
„Glaubst du, du könntest in seine Gedanken hineinlauschen? Es ist sicher nicht einfach, weil die Gefängnismauern dick sind. Aber wenn du sorgfältig lauschst, kannst du vielleicht etwas von dem erfassen, was in seinen Gedanken vor sich geht.“
„Ich kann zwar in den Gedanken anderer Wesen schwimmen, aber nur wenn sie sich nicht wehren!“, sagte Thuna. „Und durch Mauern hindurch habe ich das noch nie gemacht!“
„Seine Gedanken sind sehr stark. Sie bringen die ganze Festung zum Vibrieren. Er wird sich auch nicht dagegen wehren, weil er es nicht merkt. Wahrscheinlich.“
„Ich kann es ja mal probieren.“
„Danke, Thuna!“, sagte die Schildkröte freudig.
Sie drehte sich um und schwamm wieder voraus. Thuna wurde das Gefühl nicht los, dass die Schildkröte ein schlechtes Gewissen hatte bei dem, was sie da vorhatte.
„Ist es denn verboten?“, fragte Thuna.
„Was?“
„Die Gedanken des Gefangenen zu belauschen?“
„Keine Ahnung, es hat ja noch nie jemand versucht.“
„Die anderen Feen auch nicht? Weder Estherfein noch eine andere Fee?“
Perpetulja warf Thuna einen kurzen Blick zu, ohne das Tempo zu verlangsamen.
„Eine Kleinigkeit solltest du beachten, Thuna!“
„Was für eine Kleinigkeit?“, rief Thuna, doch die Schildkröte antwortete nicht. Sie tat so, als habe sie Thuna gar nicht gehört.
Thuna wusste nicht, was sie erwartet hatte. Vielleicht einen Eingang, ein Tor, eine steinerne Kuppel oder überhaupt irgendwas, das nach Gefängnis aussah. Es war aber nur eine Mauer wie jede andere hier unten, vor der Perpetulja anhielt.
„Hier wären wir. Es ist eine gute Stelle, denn er ist gerade nicht weit weg. Er muss gleich hinter der Mauer sitzen.“
Thuna betrachtete die Wand vor sich und die Dunkelheit rundherum. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass auf der anderen Seite der Wand kein Wasser war und ein Mann dort herumsaß, der schon Jahrtausende lang eingesperrt war und die ganze Zeit keinen Kontakt zu Menschen oder irgendwelchen anderen Wesen gehabt hatte. Neugierig legte sie ihren Kopf an den Stein und wollte lauschen, doch Perpetulja löschte ihr Licht und sagte:
„Warte, Thuna!“
Nachdem Perpetuljas Lampe erloschen war, schwebten sie beide in dem leuchtenden Feenblau, das von Thuna ausging. Es war jetzt sehr stark.
„Du musst aufpassen. Falls du merkst, dass er auf dich aufmerksam wird, musst du dich sofort zurückziehen und wir schwimmen ganz schnell davon!“
„Ist das die Kleinigkeit, die Sie erwähnt hatten?“
„Nun, es ist so …“
Die Schildkröte war sichtlich um Worte verlegen. Was sie hier gerade tat, ließ sich wahrscheinlich nicht mit den üblichen guten Vorsätzen einer Schuldirektorin vereinbaren.
„Sagen Sie’s mir einfach!“
„Er hat eine große Macht über andere Wesen. Er ist sehr gefährlich. Man erzählt sich, dass er früher, als er noch frei war, eine solche Macht über andere Wesen ausüben konnte, dass sie willenlos wurden und ihm widerspruchslos gehorchten. Sie waren Sklaven im Geiste.“
„Sie meinen, er könnte das mit mir machen? Mich beherrschen?“
Die Schildkröte verzog ihren breiten Schlitzmund.
„Ich will ganz ehrlich zu dir sein, Thuna. Ich glaube nicht, dass dir die Gedanken des Gefangenen wirklich gefährlich werden könnten. Aber Grohann hat mir von diesem Plan abgeraten, weil er eine andere Meinung hat als ich.“
„Oh! Ich verstehe.“
In der Tat verstand Thuna nun, warum die Schildkröte so gehetzt und unruhig wirkte.
„Er sagt, es ist zu gefährlich?“
„Nein, so hat er sich nicht ausgedrückt. Er sagte, er will es nicht.“
„Aber er hat es nicht verboten?“
„Auslegungssache.“
Thuna hätte fast gelacht, wäre der Fall nicht so heikel gewesen. Wenn Grohann sagte, dass er etwas nicht wollte, ging er natürlich davon aus, dass die Leute dies als Verbot auffassten. Aber im Grunde schrieb kein Gesetz auf dieser Welt vor, dass man Dinge, die Grohann nicht wollte, auch nicht tun durfte.
„Machen Sie sich keine Sorgen“, sagte Thuna. „Ich habe Erfahrung damit, Dinge zu tun, die Grohann nicht will. Sollte er sich also über diese Sache aufregen, sagen Sie ihm einfach, dass es meine Entscheidung war und nicht Ihre.“
„Das ist sehr nett von dir, Thuna, aber du bist nun mal eine Schülerin dieser Schule und mir als der Direktorin zum Gehorsam verpflichtet. Wenn ich eine
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