Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
Hanns war wach.
„Na, Lissi?“, sagte er leise. „Hat dir Yu Kon etwas beigebracht?“
„Erstaunlich viel! Aber Hauls Kurzspieße waren auch nicht schlecht!“
„Dann haben Fortinbracks Waffen zu unserem Sieg beigetragen?“
„Nicht nur Fortinbracks Waffen. Auch du!“
„Das hebt den letzten Angriff auf, oder?“, fragte er und dabei klang seine Stimme beängstigend schwach. „Jetzt habe ich Sumpfloch einmal angegriffen und einmal verteidigt. Ist jetzt alles verziehen?“
„Von mir aus schon! Aber Berry solltest du das lieber nicht fragen.“
Scarlett öffnete die Augen. Sie sah sehr mitgenommen aus.
„Oh, Lissi!“, sagte sie nur.
„Scarlett! Ich bin so froh, dass du es überstanden hast!“
„Na ja“, murmelte Scarlett und schloss wieder ihre Augen. „Das Wort ‚überstanden’ trifft es noch nicht so ganz. Aber Estephaga sagt, dass ich mich morgen besser fühlen werde!“
In diesem Moment ging die Tür auf und Gerald kam herein. Zeit für Lisandra, sich aus dem Staub zu machen. Sie ging aus der Krankenstation und trat auf den Flur, wo Grohann schon mit einer flackernden Lampe in der Hand auf sie wartete.
„Wundere dich nicht über die Dunkelheit“, sagte er. „Das Magikalie-Netz hat den Angriff nicht verkraftet und der Schnecken-Hausmeister lässt es mit der Reparatur langsam angehen. Hast du Hunger?“
Jetzt, da sie darauf angesprochen wurde, merkte Lisandra, dass sie sehr hungrig war!
„Ja. Wahnsinnig großen Hunger!“
„Im Hungersaal liegt ein unappetitlicher Kadaver, deswegen wurde kurzfristig die Großküche zum Speisesaal umfunktioniert. Man hat mir gesagt, es soll dort eine gute, heiße Suppe geben.“
„Klingt gut.“
„Ja“, sagte Grohann nachdenklich.
Das Licht der Lampe beleuchtete den größten Teil des Steinbockmanns, nur die riesigen Hörner lagen im Dunkeln. Er wirkte heute Abend menschlicher als sonst. Verletzlicher. Wahrscheinlich, weil er nur knapp dem Tod entronnen war. Lisandra fragte sich, warum der Steinbockmann nichts sagte und auch nicht weiterging. Was beschäftigte ihn?
„Fühlen Sie sich nicht gut?“, fragte Lisandra.
„Ich habe mich schon mal besser gefühlt“, sagte Grohann. „Dabei sollte ich mich freuen!“
„Darüber, dass Sie überlebt haben?“
Grohann sah sich um. Es war sehr dunkel im Flur, doch Grohann schien förmlich zu riechen, ob jemand in der Nähe war und ob sie belauscht wurden. Als er entschieden hatte, dass die Luft rein war, beantwortete er Lisandras Frage.
„Darüber, dass ich Yu Kon überlebt habe. Ich habe mich auf diesen Tag gefreut, seit ich ein kleiner Junge war, und das ist sehr viel länger her, als du dir vorstellen kannst. Ich habe mich auf den Tag gefreut, an dem Amuylett endlich von einem Tyrannen befreit sein wird, der dieser Welt mehr Schaden zugefügt hat als jedes andere lebende oder tote Wesen, das sie jemals betreten hat. Jetzt ist es endlich soweit, aber ich fühle mich zu elend, um es zu genießen.“
„Wieso Tyrann? Hanns hat mir mal erzählt, dass Yu Kon die Nähe von anderen Menschen meidet, wenn er nicht unterrichtet. Dass er dann von Eiswüste zu Eiswüste zieht und niemandem begegnen will.“
„So hat er es in den letzten dreihundert Jahren gehalten. Aber das heißt nicht, dass er keinen Einfluss auf die Geschehnisse in Amuylett hatte. Seine unsichtbaren Finger waren überall.“
„Auch in der Regier ung?“, fragte Lisandra .
„Vor allem da. Es wird interessant sein zu sehen, was passiert, wenn sein verderblicher Einfluss schwindet. Andere werden versuchen, die Macht, die er nicht mehr ausüben kann, an sich zu reißen. Aber das schreckt mich nicht.“
Es war, als redete Grohann mehr mit sich selbst als mit Lisandra.
„Was wollte er denn?“, fragte sie. „Was hatte er für ein Ziel?“
„Was haben Tyrannen für Ziele? Sie wollen die ganze Welt beherrschen. Er wollte diese Welt und er wollte die nächste Welt. Nicht mehr und nicht weniger.“
Lisandra wusste nicht, ob sie es wagen sollte, Grohann auf seinen Auftrag anzusprechen. Aber wenn sie jemals mehr darüber herausfinden wollte, dann war dies der richtige Augenblick. Ein Augenblick, in dem Grohann schwach und angeschlagen war. Das würde so schnell nicht wieder vorkommen.
„Ich weiß, dass die Regierung mich unschädlich machen will“, sagte sie. „Ging das auch auf Yu Kon zurück?“
Grohanns Aufmerksamkeit erwachte wieder.
„Die Regierung will dich unschädlich machen?“
„Tun Sie nicht so, Sie haben doch
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