Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
Freundlich. Lisandra mochte Otemplos.
„Silberklinge ist gar nicht die edelste und mächtigste Waffe der Welt, nicht wahr?“, fragte Lisandra. „Sie haben das Yu Kon nur erzählt, damit er sie sucht und findet und etwas lernt. Etwas über die Liebe.“
„Ich hatte gehofft, dass er etwas über die Liebe lernt. Aber angelogen habe ich ihn nie! Silberklinge ist wirklich die edelste und mächtigste Waffe der Welt. Sie sieht nicht so aus, sie ist auch ziemlich einfältig, wie du feststellen wirst, wenn du sie näher kennenlernst. Aber ihre Wirkung setzt jede andere Waffe außer Kraft.“
Lisandra sah das hübsche Einhorn an, das im Wasser stand und sie immer mal wieder mit einem neugierigen Blick bedachte . Silberklinge war scheu.
„ Was für eine Wirkung ist das ?“, fragte sie.
„Oh, das wirst du nicht an einem Nachmittag herausfinden! Aber in tausend Jahren bist du klüger.“
„In tausend Jahren? Und was mache ich bis dahin?“
„Leben.“
„Sie können gut reden. Amuylett liegt im Sterben und ich glaube nicht, dass es in tausend Jahren noch da ist.“
„Dann ist das Ende also doch schon gekommen ?“
„Das heißt es. Kennen Sie Amuytan?“
Otemplos nickte.
„ Amuytan war mein Freund und mein Lehrer.“
„Grohann ist sein Enkel und Grohann sagt, wir haben nicht mehr viel Zeit.“
„Dann ist es wohl so.“
Es lag eine merkwürdige Ruhe in dem, was Otemplos sagte. Lisandra verspürte Tr ost und Frieden und Zuversicht, obwohl diese Gefühle gar nicht dem entsprachen , worüber sie gerade sprachen.
„Ich hatte dir doch erzählt, dass Silberklinge zwischen Anfang und Ende hin- und herläuft, erinnerst du dich?“
„Schon, aber ich glaube, ich habe es nicht verstanden.“
„Das macht nichts. Du musst nur wissen, dass sie keine Zeit kennt. Ich sage dir das, damit du heute nicht zu viel Zeit verlierst. Denn während wir hier miteinander sprechen, vergehen Stunden, ohne dass du es merkst.“
Lisandra sah zur Sonne hinauf und tatsächlich – sie stand schon tief am Himmel und würde gleich hinter dem Wald verschwinden. Sie sah Otemplos verwundert an.
„Muss ich mich jetzt von Silberklinge verabschieden?“
„Du wirst sie wiedersehen. Wenn du sie mal besser kennst, wirst du wissen, dass sie eigentlich immer bei dir ist. Aber ansehen und anfassen kann man sie immer nur für kurze Zeit. Erst in der Ewigkeit gehört sie dir ganz !“
Es war nun wirklich Abend geworden. Die Schatten wurden länger und in einem von ihnen verschwand Otemplos, als wäre er nie dagewesen. Lisandra sah sich schnell nach Silberklinge um und stellte beruhigt fest, dass das Einhorn noch da war. Es verließ gerade das Wasser und schüttelte dabei seinen Hals mit der seidigen Mähne.
Die Sonne ging hinter dem Wald unter, als Silberklinge an Lisandra herantrat und ihren Kopf zu ihr h ina bbeugte. Lisandra wich dem spitzen Horn aus, das matt glitzerte und im Abendlicht einen goldenen Schimmer hatte. Lisandra schloss die Augen und spürte Silberklinges Kopf an ihrer Wange. Es war eine weiche und zärtliche Berührung, die Lisandra mit übergroßer Liebe erfüllte, einer Liebe, die für die ganze Welt reichte. Doch das Gefühl der Berührung verging mit dem letzten Sonnenlicht und als Lisandra die Augen wieder öffnete, war Silberklinge fort. Glücklich und traurig zugleich stand Lisandra auf, um nach Hause zu gehen.
Nach Einbruch der Dunkelheit, als die Arbeit des Tages erfolgreich verrichtet war (die Wäsche lag sauber in den Schränken , die Suppenkellen glänzten und die Klopapierhalter waren makellos rein), saßen all die ehemaligen Sklaven von Morgul Perm in der Gesindeküche beisammen und taten das, was sie jeden Abend taten. Sie redeten und arbeiteten und aßen Leckereien, die sie sich von ihrem ersten Lohn gekauft oder irgendwann mal vom Mund abgespart hatten: Nüsse, getrocknete Früchte, Kekse, ein bisschen Schokolade. Kallima, Lisandras Mutter, bastelte Spielzeug, so wie immer.
Als Lisandra es sah, wurde ihr klar, dass sie auch in dieser Angelegenheit im Irrtum gewesen war. Ihre Mutter bastelte gerne Spielzeug. Sie tat es nicht, weil sie eine Sklavin war, die sich dringend ein Taschengeld verdienen musste, sondern sie tat es, weil es ihre liebste Beschäftigung war, wenn sie abends bei den anderen saß. Denn sie war eine Frau, die ihre Hände nur still halten konnte, wenn sie schlief.
Der alte Peter bot Lisandra ein Schälchen mit Apfelmus an.
„Willst du? Ich geb dir was ab!“
„Danke, Peter.
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