Mondpapier und Silberschwert (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
die einzigen Spuren, die noch an die Hermeline erinnerten.
Das Eichhörnchen nickte ergeben in Marias Richtung und fuhr dann mit seiner Arbeit fort. Maria hatte das Tier noch nie gesehen, doch das untertänige Verhalten und die eher altmodische Bekleidung sprachen dafür, dass es sich um einen ungefährlichen Bewohner der Spiegelwelt handelte, so wie das arme Äffchen in Uniform auch einer gewesen war.
„Ein sehr effektiver Hofstaat“, sagte Grohann. „Alle Achtung!“
Maria wusste nicht, wie er das meinte. Machte sich der Steinbockmann etwa lustig über sie?
„Das ist kein Hofstaat“, gab Maria patzig zurück. „Überhaupt erwarte ich von meinen Gästen, dass sie sich solche Kommentare sparen!“
Gerald staunte nicht schlecht darüber, wie Maria den gefährlichen und normalerweise sehr furchteinflößenden Grohann anfuhr. Es war nicht Marias Art, so etwas zu tun, aber hier, in ihrer Spiegelwelt war sie anders. Auch Grohann schien das aufzufallen, denn er senkte den Kopf und starrte Maria neugierig aus seinen großen, braunen Augen an.
„Es ist ein Hofstaat und du bist offensichtlich so etwas wie eine Herrscherin“, erklärte er. „Das zur Kenntnis zu nehmen, dürfte nicht allzu unhöflich sein.“
Jetzt errötete Maria, was wieder ihrem normalen Verhalten entsprach. Da befanden sich Grohann und Gerald erst ein paar Minuten in ihrer Spiegelwelt und hatten schon herausgefunden, dass Maria an diesem Ort wie die letzte Kaiserin des letzten Kinyptischen Reiches residierte. Sie überlegte kurz, ob sie das erklären sollte, entschied sich dann aber dagegen.
„Gehen wir in ein anderes Zimmer“, sagte sie und führte ihre Gäste in den angrenzenden Raum, der ihr Lieblingszimmer war. Hier hatte sie schon oft auf ihrem roten Sofa gelesen, während der General neben ihr auf dem Sessel den Quarzburger Boten studiert hatte. Sie hatte Kekse gegessen und Tee getrunken und auch der General hatte ab und zu an seiner Tasse genippt. Wo war er bloß? Hoffentlich ging es ihm gut.
Zu Marias Erleichterung hatte ihr Hofstaat auch hier ganze Arbeit geleistet. Das Zimmer sah fast unverändert aus, nur Marias Bücherstapel waren leicht verrückt, weil sie bei den Säuberungsarbeiten vermutlich hin- und hergeschoben worden waren.
„Tee?“, fragte Maria und ging zum Kamin, wo immer ein Kessel mit kochendem Wasser bereitstand und eine Kanne mit Teeblättern.
„Danke nein“, sagte Grohann. „Setz dich, Maria.“
Maria und Gerald nahmen auf dem roten Sofa Platz, während Grohann sich in den Sessel setzte, in dem normalerweise General Kreutz-Fortmann saß.
„Wir wollen nicht lange um die Schwierigkeiten, in denen wir uns befinden, herumreden. Ihr wisst, dass Amuylett eine sterbende Welt ist?“
Maria und Gerald hatten es schon von Viego Vandalez gehört. Doch es noch einmal so knallhart und deutlich von einem Eingeweihten der Regierung zu hören, war schockierend.
„Warum stirbt sie?“, fragte Gerald. „Weil Torck aus seinem Gefängnis ausbrechen wird?“
„Genauso könnte man sagen: Es wird Nacht, weil es dunkel wird. Doch die Dunkelheit ist nicht die Ursache für die Nacht, ebenso wie der Gefangene nicht die Ursache für Amuyletts bedauernswerten Zustand ist. Das nehme ich jedenfalls an.“
„Mir ist noch nichts Bedauernswertes an unserer Welt aufgefallen“, sagte Maria. „Außer dass es jede Nacht brummt.“
„Man muss schon sehr lange hier leben, um es beobachten zu können. Wärst du mehrere tausend Jahre alt, hättest du bemerkt, dass sie sich verändert. Die Magikalie war früher stärker, die Natur kräftiger und es gab viele uralte Geschöpfe, die scheinbar ewig lebten. Doch die meisten dieser uralten Geschöpfe sind mittlerweile verschwunden. Ganze Völker sind schon vor Jahrtausenden fortgegangen, die Feen sind nur eins davon. Der böse Wald, einer der letzten R ückzugsorte für besonders magische Wesen , schrumpft. Seine Fläche bleibt zwar gleich, aber große Teile sind gewöhnlich geworden. Es ist, als ob der Lebenssaft dieser Welt versiegt. Erst ist es die Magikalie, die schwächer wird, dann das Leben selbst. So etwas gibt es in anderen Welten auch. Auf magische Zeiten folgen lange, nüchterne Zeitalter, in denen die Zauberei in Vergessenheit gerät, weil nichts mehr an sie erinnert. Bei Amuylett schreitet dieser Verfall rasend schnell voran, viel schneller als bei anderen Welten. Es ist, als hätte diese Welt besonders kräftig geblüht und sich dabei verausgabt, weswegen sie nun kraftlos
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