Mondscheingeflüster
sich Kathrin. »Seit ich das Heroin in deiner Handtasche fand ...«
»Sachen gibt's!«, murmelte Herr Roland.
Frau Roland zerrte eine Zigarette aus ihrer Handtasche und nickte Sergeant Morton, der herbeisprang, um ihr Feuer zu geben, hoheitsvoll zu.
»Sie haben also Ted? Das kann doch gar nicht wahr sein! Jetzt sind auch noch unsere Freunde in alles mit hineingezogen - und das auf eine so furchtbare Weise. Ich muss die arme Jane sofort anrufen!«
Ihr Griff nach dem Telefonhörer wurde von einem vielstimmigen Schrei unterbrochen.
»Nicht!«
»Der Apparat muss frei bleiben«, erklärte Mike, »weil die Entführer jeden Moment wieder anrufen können.«
Genau in diesem Augenblick läutete es.
Ted hatte kaum noch geschlafen. Alle Knochen taten ihm weh, als er sich aufsetzte. Er hatte Hunger, fühlte sich dreckig und zerknittert, hätte etwas gegeben für eine heiße Dusche. Er fragte sich, ob sie ihn wohl noch einmal ans Telefon holen würden, aber wahrscheinlich wäre das nur dann der Fall, wenn Kathrin niemanden auftriebe, der Englisch sprach, und er wieder übersetzen müsste. Seine Chancen waren gering - äußerst gering. Und selbst wenn sie ihn mit ihr sprechen ließen, welche Informationen sollte er ihr zukommen lassen? Wenn er nur wüsste, wo er sich hier befand! Im Auto gestern hatten sie kurz nach der Abfahrt sein Gesicht auf die Knie gedrückt, damit er den Weg nicht mitverfolgen konnte, und tatsächlich hatte er jegliche Orientierung verloren. Beim Aussteigen hatte er einen Blick auf die Häuser erhascht - trotz Gregs Hand vor seinen Augen -, bei einem der Häuser ragten die beiden obersten Stockwerke nur als ausgebrannte Ruinen in den Himmel. Trotzdem glaubte er nicht, dass sie sich in der Süd-Bronx befanden, eher im East Village, wo auch noch vereinzelt solche schwarz verkohlten Bauten zu sehen waren. Aber wenn er das zu Kathrin sagte, merkten sie es sofort, egal, ob sie Deutsch verstanden oder nicht. Ted hatte Angst, ihren Zorn herauszufordern. Er hatte vorhin gemerkt, wie nervös die Entführer waren; sie befanden sich genau in der Verfassung, in der Kurzschlusshandlungen geschehen.
Während er sich noch den Kopf zerbrach, ging plötzlich die Tür auf und Lucy trat ein.
Sie brachte eine neue Flasche Mineralwasser, außerdem war sie offenbar in einem Coffee-Shop gewesen, um ein Frühstück zu besorgen; sie hatte einen verschlossenen Plastikbecher mit heißem Kaffee dabei, dazu zwei Doughnuts und zwei Croissants.
»Hättest du Würstchen gewollt?«, fragte sie. »Ich war nicht sicher ...«
»Ist schon okay so ... Sag mal, Lucy, habt ihr jetzt eine Verbindung zu irgendjemandem, der Englisch spricht? Oder soll ich noch einmal mit Kathrin reden? Ich meine, wenn ...«
Lucy sah ihn misstrauisch an. »Wir sagen es schon, wenn wir dich brauchen. Jetzt sei ruhig und iss und trink!«
Ted machte sich als Erstes über den Kaffee her. Er war heiß und süß und weckte eine Menge Lebensgeister, von denen er schon geglaubt hatte, sie hätten ihn für immer verlassen.
»Mein Gott, Lucy, kann Kaffee gut sein!«
Sie lächelte. Ted stellte fest, dass sie ein hübsches Lächeln hatte, ein sehr junges, etwas scheues Lächeln; scheu wohl deshalb, weil sie selber verwundert war, dass sie es überhaupt noch konnte. Sie hatte ihre Haare frisch gewaschen und ihnen auf geheimnisvolle Weise einen kupfernen Glanz entlockt, sie trug sie zurückgekämmt und mit einer dicken roten Kordel im Nacken zusammengebunden. Heute ließ sie einen riesigen roten Pullover über den Rock von gestern fallen, ein viel zu großes Stück, Lucy versank darin und wirkte sehr zart, schmal und verletzlich.
»Möchtest du auch ein Croissant?«, fragte Ted.
Lucy schüttelte den Kopf. »Ich esse nie etwas vor abends. Seit meinem ...« Sie unterbrach sich.
Ted sah sie aufmerksam an. »Seit deinem was?«
»Seit meinem Entzug. Ist jetzt ein halbes Jahr her. Mir ist oft noch sehr übel. Eigentlich den ganzen Tag. Abends gibt sich das dann.«
»Du warst heroinabhängig?«
»Ja. Mehr als zwei Jahre lang. Ich habe den Entzug in der letzten Sekunde gemacht. Noch ein paar Wochen, und ich wäre krepiert. Richtig krepiert, verstehst du? Ich wette, du hast noch nie einen Süchtigen gesehen!«
»Nein. Nur auf Bildern und im Fernsehen, und ich denke, das ist nicht dasselbe. Ich habe natürlich auch davon gelesen.«
»Wenn du mich damals erlebt hättest, du hättest dich nur geekelt. Ich war ein Skelett mit einer gelblichen, schrumpeligen Haut
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