Mondscheinjammer
hinaus auf das Feld, und ich war mit einem Mal fast froh, dass er hier war. Er hatte Xaver gesehen, ich war nicht verrückt.
"Ein Freund. Er hat mich in der Dunkelheit nach Hause begleitet."
Sam nickte. "Du solltest um diese Zeit nicht unterwegs sein."
"Ich bin kein kleines Kind!", fuhr ich ihn heftiger an, als ich es beabsichtig hatte.
Überrascht zog er eine Augenbraue hoch.
Ohne ein weiteres Wort ließ ich ihn stehen und ging ins Haus.
6. KAPITEL
I n den nächsten Tagen blieb es ungewöhnlich ruhig, auffällig ruhig sogar für meinen Geschmack. Es war, als läge Parkerville unter einer riesigen Käseglocke und nichts drang herein oder heraus. In der Schule nahm alles wieder seinen gewohnten Gang. Niemand schien sich großartige Gedanken über Jordans Verschwinden und den Tod des alten Tonis zu machen.
Die Planungen für den Herbstball waren im vollen Gang, doch eine fehlte bei dem ganzen Trubel: Ashley, die unumstrittene Ballkönigin. Sie ließ sich nicht ein einziges Mal blicken. Mehr als untypisch, wie selbst Vanessa mittlerweile bemerkte.
Ich kam nicht einmal auf die Idee, mir über den Ball Gedanken zu machen. Niemand würde mich fragen, ob ich mit ihm dorthin gehen wollte, und ich legte auch keinen Wert darauf. Keiner der Jungen der Parker High konnte es mit Tom aufnehmen, auch wenn er ein verlogener Mistkerl war. Doch das war nicht der einzige Grund, weswegen ich nicht über den Ball nachdachte. Mir ging eines nicht aus dem Kopf: War es möglich, dass es tatsächlich so etwas wie Vampire gab? Oder drehte ich langsam durch?
Die Einzige, mit der ich darüber reden konnte, war Vanessa. Doch ich musste vorsichtig sein. Sie war nicht gerade unvoreingenommen. Im Gegenteil, sie war sogar regelrecht besessen von der Theorie, dass Untote in Parkerville ihr Unwesen trieben.
Meine Familie hingegen kümmerte sich verstärkt um die Lebenden. Wenn ich nachmittags von der Schule nach Hause kam, war das Haus meist leer. Cal, froh, nach seiner Windpockenerkrankung endlich nicht mehr herumliegen zu müssen, war wieder mit seinem Freund Jack unterwegs, mein Dad trieb sich irgendwo auf der Farm herum, um die anstehende Ernte vorzubereiten und Mom verbrachte neuerdings viel Zeit auf der Ranch der Hudsons. Meist kam sie erst nach Einbruch der Dunkelheit nach Hause, ganz geknickt von einem erneuten Tag mit der trauernden Natalie und Jordans Mutter Nelly, die ich bislang nur aus Erzählungen kannte.
Sams Pickup stand zwar regelmäßig in unserer Einfahrt, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er mir aus dem Weg ging. Aber eigentlich kümmerte mich das nicht weiter. Seine besserwisserische Art ging mir auf die Nerven. 'Du solltest im Dunklen nicht unterwegs sein, Lily', 'Du hast wirklich keine Ahnung, wie man mit Hühnern umgeht, Lily', 'Das ist ein Lebewesen, Lily'. Wie konnte man nur so einen Stock im Hintern haben?
Am Donnerstag überlegte ich hin und her, ob ich nicht doch zu Ashley fahren sollte. Immerhin waren wir verabredet, auch wenn sie seit vier Tagen in der Schule fehlte. Wegschicken konnte sie mich gegebenenfalls immer noch.
Als ich den Wagen in der Einfahrt parkte, verließ mich allerdings der Mut. Ich hatte Manfred vorsichtshalber Zuhause gelassen, denn ehrlich gesagt, rechnete ich gar nicht damit, dass sie mich überhaupt ins Haus lassen würde. Doch weswegen war ich dann hier?
Wegen Xaver?
Ich schüttelte heftig den Kopf, blieb aber erst einmal hinter dem Steuer sitzen.
Im Gebäude brannte Licht. Es war also jemand Zuhause.
"Willst du ein Bild von dem Haus malen?"
Ich fuhr erschrocken zusammen. Wieder einmal. Das musste unbedingt aufhören. Wie konnte man nur so schreckhaft sein?
Da stand er. Lässig lehnte er an der Fahrertür und grinste mich an.
Xaver.
"Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken." Seine dunklen Augen blickten stechend. Obwohl die Sonne in den letzten Tagen noch einmal kräftig nachgelegt hatte, sah er im trüben Licht des Mondes auffällig blass aus, fast ein wenig kränklich. Vielleicht ging ja tatsächlich ein Virus bei den Carters um, nur ich witterte in meiner Paranoidität schon wieder das Schlimmste.
Ich musterte ihn unauffällig. Das Haar stand wie immer struppig von seinem Kopf ab, er sah aus, als käme er geradewegs aus dem Bett.
"Ich… Ashley…" Wieso nur fehlten mir immer die Worte, wenn ich ihn sah? Das war doch zum Verrücktwerden!
"Sie fühlt sich noch immer nicht gut. Ich glaube nicht, dass sie dich
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