Mondscheinzauber - Jones, C: Mondscheinzauber - Moonshine
erschöpft. Kurz vor sechs war sie mit Mimis Aufgabenliste des Tages fertig geworden, und für den nächsten Vormittag wartete ein ähnlich heftiger Pflichtenkatalog.
»Schon traurig«, sagte sie unverdrossen laut zu sich selbst. »Fünfunddreißig Jahre alt und um halb neun schon bettreif. Das Leben ist wahrlich so gut wie vorbei … Ach, verflixt, der Mülleimer muss heute Abend noch raus. Bis zum Morgen zu warten, kann ich nicht riskieren, die Tonnen werden immer schon so früh abgeholt. Das mach ich eben noch, aber dann will ich nur noch mit einem guten Buch ins Bett. Und ich sollte wirklich mit Mrs Hancock über die Anschaffung einer Katze reden, mit der ich solche Gespräche führen kann.«
Heute Abend hatte sie nicht einmal Elvi zum Reden gehabt. Elvi war, wie Cleo wusste, widerstrebend zu einer der Abendveranstaltungen in Sachen »Sozialer Integration« gegangen, wie es offiziell genannt wurde, die anscheinend dazu eingerichtet worden waren, um Schüler reiner Mädchen- und Knabenschulen verantwortungsvoll in die Freuden des Umgangs mit dem anderen Geschlecht einzuweihen, ohne dass sie zu tonnenweise Alkopops greifen mussten und in den frühen Morgenstunden aus Clubs rausflogen oder sich vor der Kebab-Bude in Hazy Hassocks grün und blau prügelten.
Cleo zog sich vom Sofa hoch, wickelte sich fester in ihren Bademantel und sperrte die Tür auf.
Blöd, dachte sie, als sie angesichts der leeren Türschwelle einen Stich der Enttäuschung verspürte. Hatte sie wirklich erwartet, dass Dylan da säße? Nein, natürlich nicht. Wünschte sie sich, dass er da säße? Bestimmt nicht! Auf gar keinen Fall. Nicht die Spur. Na ja, gut, vielleicht ein ganz klein bisschen …
Sie hastete durch die stürmische Finsternis zu dem winzigen Anbauschuppen, knipste das trübe Deckenlicht an und bückte sich, um die Mülltonne hervorzuziehen.
»Na komm schon«, redete Cleo der Tonne gut zu, »es hat keinen Sinn, sich zu verstecken, du musst ja doch rauskommen. Und ich muss wirklich mit diesen lauten Selbstgesprächen aufhören. Uff!«
Sie zerrte die Tonne zwischen mehreren großen Umzugskartons voll leerer Flaschen und großen, seltsam geformten Einmachgläsern aus ihrem Schlupfwinkel unter einem windschiefen Ablagebrett hervor.
»Ach, verdammter Mist!«
Ein Stapel Tüten, Schachteln, Bücher und alte Zeitungen rauschte zu Boden. Wie die Flaschen und Gläser hatten auch diese Dinge sich schon im Schuppen befunden, als Cleo eingezogen war, und wie die Flaschen und Gläser hatten sie seither auf ihrer Entrümpelungsliste gestanden, doch da sie außer Sicht waren, waren sie auch weitgehend aus dem Sinn.
Sie raffte die Papiere mit den Armen zusammen und schob sie auf das Brett zurück, um sich später damit zu beschäftigen. Die Sachen mussten Olive gehört haben, dachte sie, als sie einige Ausgaben Woman’s Weekly von 1979 auf einen unordentlichen Haufen warf, und dann bei ihrem Umzug nach Eastbourne zurückgeblieben sein. Ach ja, eines Tages würde sie sich dazu aufraffen, das alles einmal durchzusehen.
Jetzt war nur noch die Sammlung Schulhefte zu verstauen. Olive schien ja schrecklich viele Ordner und Heftmappen und alte Bücher angehäuft zu haben – oh, war das aber hübsch … blinzelnd besah sie sich einige leuchtend bunte Illustrationen, die aus einem der ledergebundenen Bücher geflattert waren.
Ach, süß – Olive hatte wohl Sachen aus Zeitschriften ausgeschnitten und in eine Art Sammelalbum geklebt. Oder waren das vielleicht Strickmuster? Oder Haushaltstipps? Müßig durchblätterte Cleo die farbenfrohen Seiten. Wie merkwürdig … Auf all den eingeklebten Abbildungen sah man Getränke. Nein, nicht nur irgendwelche Getränke – es waren alles Bilder von Wein – Gläser und Flaschen mit Wein in kräftigen, dunklen Farben.
Auf den Seiten sah man zahlreiche mit rubinroter und purpurner und violetter Flüssigkeit gefüllte schimmernde Weingläser. Randvolle Flaschen leuchteten in allen Herbstfarben.
Hatte Olive heimlich getrunken? Cleo schmunzelte. Das würde die Unmengen leerer Flaschen erklären und vielleicht auch, warum Dylan sie so regelmäßig besucht hatte.
Fasziniert blätterte sie noch etwas weiter in den vergilbten Buchseiten – nun kam sie zu Seiten mit – was – Rezepten? Ja. Detaillierte, handgeschriebene Rezepte, aber nicht für Speisen. Es waren Rezepte für Wein. Hausgemachten Wein. Wein aus Waldbeeren und Heckenfrüchten.
Cleo lachte laut auf, die Müdigkeit war verflogen, der Mülleimer
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