Mondschwingen (German Edition)
man glaubt, die
Erinnerung verblasst nicht einfach so. Je mehr du gegen sie kämpfst, desto
düsterer erscheint sie dir. Früher oder später wirst du es bereuen, denn Rache
ist nicht das, was man sich davon erhofft.“
Amber wischte sich die
Tränen aus dem Gesicht, ganz langsam, als zerbreche es sonst in tausend
Scherben.
Svija hätte sie umarmen
sollen, doch sie wollte nicht, sie konnte nicht, sie saß nur und da starrte
hinunter.
„Du lügst“, zischte
Thijs. Man konnte ihn vom Dachgiebel aus kaum verstehen. „Du hast dich dein
ganzes Leben lang gerächt, du liebst die Rache mehr als alles sonst.“
„Und nun sieh mich an.“
Lange sagte niemand von ihnen ein Wort, ein paar Jäger und Weiße zerbrachen die
Stille mit einzelnen Schreien. „Willst du sein wie ich? Willst du einmal einen
Sohn haben, der dich hinrichten möchte, der dich nicht lieben kann und mehr
hasst, als alles andere?“
„Darum geht es nicht.“
„Nein? Ich glaube schon,
ein wenig jedenfalls. Denke nicht nur an die Tat, sondern auch an die Folgen,
das hab ich dir einmal gesagt, vor vielen Jahren.“
„Als du noch mit mir
gesprochen hast, vor einer Ewigkeit. Vergib mir, ich kann mich kaum noch dran
erinnern.“
„Fang nicht ausgerechnet
jetzt mit Rache an. Lass es sein - für manche Feinde ist es schlimmer, nicht
gerächt zu werden, weißt du.“
„Das sagst ausgerechnet
du.“ Diesmal lachte Thijs nicht. „Glaubst du, ich werde auf dich hören, nach
allem, was passiert ist, nach all der Zeit? Ich bin hier um dich zu töten.“
Diesmal lachte Kastja.
„Da sagst du es endlich!“, rief er und zeigte mit dem Finger auf Thijs. „Du
willst mich sterben sehen, niemanden sonst. Erst recht nicht Gwaedja, wo sie
doch immerhin deine Mutter ist.“
„Selbst wenn du dich
gegen sie entscheidest, so wäre meine Rache immer noch gelungen genug. Wie
sollst du nur weiter leben, wenn Gwaedja tot ist, wie sollst du jemals wieder
glücklich sein, wenn du weißt, dass nur du an ihrem Tod schuld bist?“
„Gwaedja ist eine
Mondschwinge, ein Oberhaupt irgendeiner aufrührerischen Bande, die für Frieden
ist. Woher willst du wissen, dass ich ausgerechnet sie liebe?“
„Weil du vor mir stehst,
weil du gekommen bist, deswegen.“
Kastja machte den Mund
auf, aber blieb still. Weil du gekommen
bist …
Langsam kam der König
näher heran, den Kopf hatte er eingezogen, wie ein unsicheres, schnüffelndes
Tier. „Kehr um, bevor es zu spät ist, das kann ich nur sagen. Noch ist es nicht
zu spät …“
„Hör auf, verdammt!“
Thijs übertönte alle anderen Geräusche auf dem Hof, sein Kreischen ließ jeden
verstummen. „Willst du mir etwas über Moral erzählen? Willst du mir nun sagen,
was gut ist und was nicht?“ Thijs gackerte und schüttelte sich. „Mein Vater
erzählt mir was von Sittlichkeit, mein mordender, bluthungriger Vater!“
„Vielleicht würde ich
mich entschuldigen, wenn nicht schon so viel passiert wäre. All die Jahre, all
das Schweigen, du weißt schon … vielleicht verspräche ich dir auch, von nun an
ein guter Vater zu sein, aber ich weiß, dass es dafür zu spät ist. Um Dinge
rückgängig zu machen, um sich zu entschuldigen.“ Kastja trat an Thijs heran. Nah
standen sie sich gegenüber und diesmal wich Thijs nicht zurück.
Thijs schlug seinem
Vater ins Gesicht. „Du bist so dumm, so schrecklich dumm.“ Seine Stimme war wie
erstickt, jedes Wort klang schmerzhaft. „Lügen, nichts als Lügen. Du bereust
nichts, du denkst nicht im Traum an eine Entschuldigung, weil du ein Narr bist.
Einer, dem nicht mehr geholfen werden kann. Und darum, weißt du, hasse ich
dich, weil ich sicher bin, dass du immer bleiben wirst, was du bist, dass du
gar nicht wirklich weißt, was du tust, was richtig ist, was falsch.“
„Richtig, falsch – was
ist das? Böse, gut … schwarz, weiß … sieh uns doch an, mein Sohn: bist du gut,
bin ich böse? Bist du weiß und ich schwarz? Womöglich sind wir alle grau, ohne
es zu wissen.“
„Ich habe genug gehört.“
Thijs machte einen Schritt nach hinten, zog ein Messer aus dem Gürtel und hielt
es Gwaedja an den Hals. „Du musst dich entscheiden. Wir haben schon lange genug
geredet, jedes weitere Wort wäre zu viel.“
Noch immer regte sich
Gwaedja nicht. Die Messerspitze sah so furchtbar falsch auf ihrer Haut aus.
„Ich weiß nicht.“ Drei
Wörter, so leise. Kastja kniff die Augen zusammen, aber er bewegte sich nicht.
Amber beugte sich nach
vorn, als könnte sie so das
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