Mondschwingen (German Edition)
bitterbösen Blicken, selbst Rubens
verschonte er damit nicht. „Wir hätten alle draufgehen können! Ein Viertel, ein
ganzes Viertel!“
Kastja war streng mit sich, eigene Fehler
vertrug er noch weniger wie die anderer. In solch zornerfüllten Momenten wie
diesen konnte ihn nur eine blutige Jagd beruhigen, doch die war nirgendwo zu
sehen, selbst Tiere ließen sich nicht blicken.
Erst als sie an einem Dorf am Tasa-See
vorbeikamen, wurde der Bitterkeit im langen Jägerzug jäh erschüttert. Eine Frau
kam ihnen zwischen den Häusern und Hütten armwedelnd entgegengerannt.
„Diebe!“, rief sie „Es waren Elstern im
Dorf! Bei Jarvil wurde eingebrochen, alle seine Schätze wurden ihm geraubt!
Vorhin hat er es entdeckt, man hat sogar die letzten Elstern gesehen.“ Sie
schnappte nach Atem und klammerte sich an Kastja fest. „Jagt die verdammten
Elstern, schneidet ihnen die Kehle durch, wie sie es verdient haben!“
Immer mehr Menschen drängten sich an die
Jäger heran, wie eine aufgescheuchte Vogelschar redeten sie durcheinander und
konnten sich nicht mehr beruhigen. Schließlich führte sie der beraubte Jarvil
in sein Haus, nicht größer als die anderen im Dorf. Er zeigte ihnen die leere
Truhe, die gestern noch bis oben hin mit Schätzen gefüllt war.
„Hast du die Diebe erkannt?“ Kastja sah
immer wieder durchs Fenster, während er Jarvil zuhörte.
Der Bestohlene schüttelte hastig den Kopf.
„Ich sah nur noch einen von ihnen das Dorf verlassen, aber ich bin mir sicher,
dass es mehrere waren, denn in seinem Umhang war nicht genug Platz für alle
Schmuckstücke. Es waren zwei Elstern, vielleicht noch mehr.“
„Ist gut. Mehr brauchen wir nicht zu
wissen. Je länger wir hier stehen, desto weiter weg sind unsere Feinde.“ Kastja
machte kehrt und lief zurück zur Spitze seines Trupps.
Jarvil rannte ihnen hinterher. „Dort. Dort
sind sie lang!“, sagte er und deutete hinter den See, wo sich die Berge groß
und dunkel erhoben.
„Natürlich sind sie das.“ Kastja rümpfte
die Nase. „Gute Jäger riechen ihre Beute, auch wenn der Wind von hinten
kommt.“
Sie liefen los, mit großen Schritten. Die
Banner mit dem schwarzen, gebrochenen Flügel auf weißem Grund zuckten und
zappelten unruhig.
„Wir hätten doch Pferde mitnehmen sollen!“,
knurrte Kastja und sah Rubens böse an. „Man braucht sie eben doch. Sogar im
Trudanwald.“
Rubens sagte nichts. Sich zu verteidigen
hätte jetzt ohnehin nichts genutzt, dafür war der König viel zu schlecht
gelaunt. Nebel hing über der Wasseroberfläche und manchmal, wenn man es murmeln
und platschen hörte, konnte man ein paar geschuppte Köpfe sehen.
Die Berge hinter dem Wald waren tiefblau.
„Wir kriegen sie“, brummte Kastja, seine
Stiefel patschten laut auf dem nassen Untergrund. „Das rieche ich.“ Er hob
demonstrativ die Nase und sog die frische Luft ein.
„Sie sind nicht weit, nur ein paar Berge
noch.“
Ein paar Berge noch. Genug Zeit, um sich
gedanklich auf den Kampf vorzubereiten, der ihnen bevorstand. Rubens fühlte die
gleiche absondere Mischung aus Angst und Gier, von der er auch sonst nie
verschont wurde. Er hatte Angst vor dem, was kommen mochte, dem Kampf, der
meist blutig endete, dem Verrat, den er doch eigentlich immer beging, wenn er
Elstern bekämpfte. Doch da war immer auch noch die Gier, die jeder Jäger
spürte, wenn er seine Beute vor sich hatte. Es war eine innere Zerrissenheit,
die ihn schon lange plagte, die ihn oft gar nicht mehr wissen ließ, wer er denn
nun war.
Irgendetwas dazwischen bin ich , dachte Rubens. Ich bin weder Mensch,
noch Elster. Irgendetwas dazwischen .
Der Aufstieg war mühsam, die Wege waren
schmal, kaum mehr als ein Strich zwischen den Felswänden. Sie kamen nur langsam
voran, weil der Schnee tief war und als sie schließlich den ersten Gipfel
erreicht hatten, begann es zu schneien. Kleine Flocken nur, doch sie fühlten
sich kalt an im Gesicht.
Die Jäger verharrten kurz dort oben,
schauten hinunter und sahen den Molmsund-See, der von hier aus gar nicht mehr
so groß aussah.
Der Schnee zu ihren Füßen wurde
aufgewirbelt, als sie wortlos weiterliefen. Wie ein endloses Band erhob sich
der Schnee, tanzte um sie herum und wurde wieder fortgeblasen. Erst als es
Abend war, kamen sie schneller voran – sie duckten sich und liefen dicht an den
Felswänden, wo der Wind nicht ganz so stark an ihnen rüttelte. Sie wussten,
dass die Feinde nicht sehr weit entfernt waren, denn es stürmte für die Elstern
zu
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