Mondschwingen (German Edition)
tränenerstickt voraus, dass sie alle
sterben würden, nun, da eine Mondquelle fehlte. Eine Frau stand an seiner Seite
und beschuldigte die Menschen, die den Tod ihrer Feinde wollten.
Fumo wand sich aus dem
Gewimmel und kam auf Linus zu. „Das hat es noch nie gegeben“, bemerkte er
überflüssigerweise.
Svija zuckte nur mit den
Schultern, als sei es ihr egal. „Ein Mond mehr, ein Mond weniger. Das kümmert
mich nicht.“
Fumo glotzte sie an und
wagte nicht zu widersprechen.
„Wenn wir fliehen
können, dann jetzt!“, wisperte sie Linus zu. „Toiva wird im ganzen Tumult gar
nicht bemerken, dass wir gehen!“ Sie sprach so eindringlich, ihre Worte klangen
so ernst, dass es bestimmt kein Scherz war.
„Bitte flieh mit mir!“
Linus wollte nur noch schlafen.
Dieser ganze Tag, die ganzen letzten Tage waren zu viel für ihn. Warum konnte
er nicht mehr der Junge sein, der im Winter Schneeballschlachten machte und
sonst nichts? Warum konnte er nicht in sein altes Leben zurück? Beinahe
ohnmächtig stand er da und drohte einzuknicken, da die Last auf seinen
Schultern zu groß geworden war.
„Ich kann nicht“, sagte
er nur und er war sich dessen kaum bewusst. Im Moment konnte er gar nichts tun.
„Wir können zusammen in
den Sommerwald gehen, dir wird es dort gefallen. Du musst zu keiner Elster
ausgebildet werden, du musst nicht zwischen Adligen und unfähigen Königen
leben, du kannst mit mir kommen.“
Wäre Linus ein bisschen
klarer bei Verstand gewesen, dann hätte er sich über Svijas Worte gefreut.
„Aber ich will nicht in
den Sommerwald“, sagte er. „Ich will auch gar nicht lange hier bleiben. Das
Einzige, was ich will, ist nach Skopenvang zu kommen, weil Mortis das so gesagt
hat. Wenn ich mit dir wieder zurückgehe, dann kehre ich meinem Ziel den Rücken
zu.“
Svija schaute von ihm zu
den Adligen am Fenster und wieder zurück. „Tut mir leid!“, hauchte sie und lief
davon.
Erst nach ein paar
Schritten fiel die Gleichgültigkeit von Linus ab und er rannte ihr schneller
hinterher. „Warte auf mich!“
Svija schaute zu ihm
nach hinten, ihre roten Haare tanzten zu allen Seiten.
„Renn du schneller!“,
rief sie und sie lachte leise. „Komm schon!“
In den Gängen und auf
den Höfen standen viele Mondschwingen, aber niemand beachtete die zwei
rennenden Kinder.
„Kommst du nun doch
mit?“ Sie liefen nebeneinander, zu zweit wussten sie besser, welcher Weg der
richtige war.
Linus antwortete nicht,
denn eigentlich wusste er gar nicht, ob er nun fliehen wollte oder nicht.
Eigentlich wusste er gar nichts.
Als sie in ihrem Zimmer
ankamen, packte Svija ihren Mantel und hechtete zum bunten Fenster.
„Wir springen
gleichzeitig!“, schlug sie vor und lachte wieder. „Nimm deinen Mantel und
spring mit mir! Überleg nicht so lang!“
„Ich weiß nicht“,
murmelte Linus, er fuhr über seinen Mantel, der zerknittert am
Bettende lag. „Ich weiß es wirklich nicht!“
„Wenn du mit mir gehst,
verlierst du trotzdem nicht dein Ziel aus den Augen. Ich gehe mit dir nach
Skopenvang, wenn du willst, sogar bis in den Thronsaal der Menschenkönigin,
wenn du willst. Aber komm mit mir!“ Mit schrägem Kopf saß sie auf dem
Fenstersims und wartete.
„Ich habe ansonsten ein
schlechtes Gewissen, wenn ich dich allein lasse. Bei Toiva.“
Linus wusste es nicht.
Aber er fühlte, er fühlte irgendwie, dass es falsch war zu fliehen. Nun war er
immerhin schon hier, über dem Molmsund-See. Er wollte nicht jetzt schon wieder
einen Schritt zurück machen.
„Ich kann nicht“, sagte
er.
Svija schien in sich
zusammenzusacken. Sie saß immer noch auf dem Fenstersims, rührte sich nicht. Das
bunte Fenster neben ihr wackelte im Rahmen und wollte endlich wieder
geschlossen werden.
„Bleib doch noch ein
bisschen!“ Linus legte den Mantel wieder zurück. „Du bist noch nicht einmal ein
Tag hier. Vielleicht gefällt es dir irgendwann. Und wenn doch nicht, kannst du
immer noch ein anderes Mal fliehen. Niemand wird es bemerken, wenn du hoch
genug fliegst!“
Svija seufzte. „Ich will
aber nicht bleiben. Auch nicht ein bisschen.“
„Wir kennen uns doch
kaum“, meinte Linus, obwohl er längst verstanden hatte, dass jegliches
Überreden zu spät war.
„Wir sehen uns bestimmt
bald wieder“, erwiderte sie nur. Sie lächelte fast unmerklich, als die Tür
hinter ihnen aufflog und Toiva auf der Schwelle stand.
„So
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