Mondschwingen (German Edition)
bisschen Mondschwinge. Du bist ein
bisschen Mensch. Warum hast du mir nie davon erzählt?“
Thijs schürzte die
Lippen. „Ich weiß nicht.“ Ein rotes Irrlicht hüpfte auf seinen Schultern. „Du
bist immerhin Kastjas engster Vertrauter … trotz deiner Abstammung.“
„Ich habe gedacht, wir
können uns vertrauen.“
„Ich weiß es natürlich
schon immer. Man spürt es, man spürt die Mondschwinge in sich.“ Er scheuchte
das Irrlicht fort, das schrill fauchte, als Thijs es mit seiner Hand erwischte.
„Kastja hat mir verboten zu fliegen und Mondlicht zu trinken. Er weiß ja nicht,
wie es ist, kein Mondlicht zu trinken, wenn man eine Mondschwinge ist. Er weiß
gar nicht, dass ich es brauche, ob er nun will oder nicht. Damals, als ich noch
ganz klein war, nahm Kastja mich auf die Dunkelmondburg, schließlich war ich
sein Sohn, sein Erbe. Er hoffte, dass ich rein menschlich bin, normal … hätte er gewusst, dass ich
seine Hoffnungen niemals erfüllen könnte, hätte er mich bei Gwaedja gelassen.“
Thijs hatte die
Geschichte schon oft erzählt. Rubens konnte sich noch gut erinnern, wie von
einem Tag auf dem anderen Kastjas kleiner Sohn auf der Burg lebte. Niemand
hatte die Mutter gekannt, niemand das Geheimnis. Rubens war damals nicht sehr
alt gewesen und Neid war in ihm aufgeblitzt.
Nun, vierzehn Jahre
später, war es Rubens, der Thronerbe werden sollte. Nur wollte er es jetzt
nicht mehr.
„Warst du überrascht?“
Thijs schmunzelte. „Dass Kastja eine Mondschwinge liebt?“
„Es mag seltsam und
falsch klingen, aber seitdem ich es weiß, sehe ich ihn als Verräter an. All
seine Worte, seine Jagden, sie alle waren irgendwie falsch. Ich weiß es erst
seit gestern, aber es fällt mir schwer, ihn wieder als den alten Kastja zu sehen.
Es ist, als ob … etwas zerstört worden wäre, glaube ich. Dabei bin ich auch
nicht besser als er.“ Die letzten Worte kamen ihm nur langsam über die Lippen.
„Ich weiß nicht, ob ich ihm noch vertrauen kann.“
Thjis lachte heiser,
doch als er Rubens‘ ernsten Gesichtsausdruck bemerkte, wurde er wieder still.
„Diese Welt ist verrückt. Nichts passt mehr zusammen, alles ist aus den Fugen
geraten, jeder verrät jeden und niemand ist, was er sein sollte.“ Er ließ seine
Worte wirken und schaute behutsam auf. „Was hast du vor? Du sagtest einmal,
dass du vielleicht gehen willst.“
„Wollen, ja, vielleicht.
Aber ich kann es noch nicht, das ist das Schlimme. Weil ich ansonsten das
Gefühl habe, Kastja im Stich zu lassen.“
„Kastja, Kastja im Stich
lassen. Dass ich nicht lache.“ Thijs verwandelte sich mit einem Mal in einen
trotzigen Jungen, der so schlecht gelaunt war, dass er nichts anderes tun
konnte als schimpfen.
„Vielleicht gelingt es
mir jetzt besser. Nun, da ich weiß, dass er nicht der ist, für den ich ihn
gehalten habe.“ Rubens überlegte eine Weile und fügte zaghaft hinzu: „Aber wäre
das nicht noch viel schlimmer? Ihn für einen Verrat zu bestrafen, den man
selbst noch viel schlimmer beging?“
„Denk dir nicht den Kopf
staubig, Rubens. Jeder verrät jeden, im Grunde genommen verrate ich auch bald
schon dich.“ Er lächelte geheimnisvoll und lief auf einmal fort, die Gräser
hatten ihn sofort verdeckt.
Rubens folgte ihm rasch,
die Gräser wischten ihm übers Gesicht. „Was meinst du damit?“
„So genau willst du das
gar nicht wissen, schätze ich. Nur eines …“ Thijs blieb kurz stehen, die Maske
des zornigen Kindes war von ihm abgefallen. „Ich plane einen Krieg. Gegen
Kastja und den Rest. Bald wird es euch Jäger nicht mehr geben. Geh jetzt,
Rubens, bevor es zu spät ist. Kehre Kastja jetzt den Rücken zu, bevor du es
nicht mehr kannst.“
Thijs war schon wieder
ein paar Schritte gelaufen, man sah nur seine schwankende Kontur im Grasmeer.
„Warum erzählst du mir
das?“, rief Rubens ihm hinterher.
„Ich habe gedacht, wir
könnten einander vertrauen“, antwortete Thijs und auf einmal war er
verschwunden.
Rubens stand noch nicht
lange auf dem Marktplatz, zwischen drängelnden Menschen und duftenden Speisen,
als Kastja endlich auf die Tribüne trat und sich unter johlendem Applaus
verbeugte.
„Welch wunderschöne
Nacht!“, rief er und seine Stimme war zwischen all dem Geschnatter fast nicht
zu hören. „Welch wunderschönes Fest wir feiern! Ein Mond ist verschwunden, das
wissen wir alle.“ Er blickte hinauf, obwohl man von hier keinen der drei Monde
sehen konnte, weil selbst über dem Marktplatz Tücher gespannt
Weitere Kostenlose Bücher