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Mondschwingen (German Edition)

Mondschwingen (German Edition)

Titel: Mondschwingen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Sand
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denke, du kennst mich.“ Das Mädchen näherte sich Kastja, sie
schwebte ein paar Handbreit über dem Boden. Ihr Mantel flatterte und verdeckte
ihre Stiefel.
    „Du siehst aus wie sie“, sagte Kastja, ganz
leise nur. Jetzt war es still in den Bergen. „Wie Gwaedja.“
    Das Mädchen lächelte nicht mehr. „Ich
weiß“, wisperte sie. „Gwaedja sagte mir einmal, du seist nicht so brutal, wie
viele sagen. Wenn das stimmt, dann lass uns gehen. Frode und mich.“
    Das Mädchen mit den weißen Haaren drehte
sie um und ging. Zusammen mit dem Jungen namens Frode. Nicht schnell, Schritt
für Schritt nur, ganz langsam. Kastja ließ sie einfach laufen, schaute nur dem
weißen Kopf hinterher, der wie ein wackliger Mond in die Finsternis eintauchte.
    „Amber“, sagte er und schaute sich zu
Rubens um „Sie ist meine Tochter.“
                                                  
    „Gwaedja, das ist sie, oder?“ Rubens hatte
lange geschwiegen, zu sehr lastete die Stille auf ihm. „Die Frau, von der fast
jeder unter uns Jägern weiß.“
    Kastja fuhr herum. Wie ein lauerndes, hungriges
Raubtier stand er da und fixierte Rubens. Er schüttelte sich und fuhr sich über
die Stirn. „Ja, das ist sie.“ Er seufzte und er klang beinahe sehnsüchtig. „Sie
… sie sieht dem Mädchen – meiner Tochter – sehr ähnlich, weißt du? Sie sieht
genauso aus wie sie.“
    „Es war die richtige Entscheidung. Dass du
das Mädchen hast leben lassen. Alles andere hättest du dir niemals verziehen.“
Rubens redete nicht richtig, er plapperte nur, er dachte nicht einmal nach.
    Immer noch sah er das Mädchen vor sich, das
Mädchen, das flog … das Mädchen, das Kastjas Tochter war. Das Eine passte nicht zum Anderen, sie konnte nicht fliegen und Kastjas Tochter sein, das ging
nicht, Kastja war ein Mensch und das Mädchen …
    „Eine Zerrissene. Das Mädchen ist eine
Zerrissene, nicht?“ Die Worte rutschten Rubens einfach so heraus. Im Nachhinein
hätte er sie am liebsten wieder hinuntergeschluckt.
    Aber Kastja war nicht wütend. Er stand da
und dachte über irgendetwas nach. „Ja, das ist sie. Und Gwaedja …“ Er redete
nicht zu Ende, der fallende Schnee wischte ihm übers Gesicht und blieb in
seinen Wimpern hängen.
    Gwaedja war eine Mondschwinge, ein Vogel,
eine Elster. Sie war etwas, das Kastja doch hätte hassen müssen. Sie war eine
Mondschwinge und er war ein Mensch. Und Amber … sie war irgendetwas dazwischen.
Sie war eine Zerrissene.
    „Wie kann das sein?“ Nun war es Rubens
egal, dass er seine Überraschung laut aussprach. Nun wollte er nur noch
Antworten, mehr nicht.
    Kastja lachte, er legte den Kopf in den
Nacken und hörte gar nicht mehr auf mit Lachen. „Ich weiß es doch auch nicht,
Rubens, ich weiß es nicht. Ich hasse mich dafür, das kannst du mir glauben, ich
hasse Gwaedja dafür, aber rückgängig machen kann ich es nicht.“ Er stand da,
mit den Händen in den Manteltaschen und regte sich nicht. „Ich denke, ich liebe
sie. Irgendwie.“
    „Du musst sie schon lange lieben. Das
Mädchen ist dreizehn, vielleicht älter. Thijs ist siebzehn …“ Rubens stockte
und schaute an Kastja vorbei, zu zitternden Schemen hinter den Hügeln, die fast
versanken im Meer aus Schnee. Er schaute irgendwohin, nur um nicht in Kastjas
Gesicht zu sehen. „Ist Thijs … ist er auch eine Mondschwinge? Redest du auch
deswegen nicht mehr mit ihm?“
    „Zerrissen, er ist zerrissen“, zischte
Kastja und nun wirkte er doch ein bisschen wütend.
    „Ich habe ihm verboten zu fliegen. Wenn er
es doch tut, stirbt er, das weiß er ganz genau. Damals, auf dem Platz der
Gebrochenen Flügel, als er eine Mondschwinge anspucken sollte, da konnte er es
nicht, weil er selbst eine war. Ich dachte, ich könnte ihn dazu zwingen und
irgendwie auch dazu, ein Mensch zu werden. Natürlich konnte er es nicht.“
    Kastja lief zur Felswand zurück und schaute
hinunter. Die ersten Jäger kehrten zur Höhle zurück, ohne Beute.
    Der mordende, mondschwingenhassende Kastja
… ausgerechnet er liebte eine Mondschwinge.
    Rubens war wütend. Darauf, dass Kastja so
unehrlich war, so verräterisch, so durch und durch dumm. Am liebsten hätte er
ihn nun geschüttelt und angeschrien, ihn einen Verräter genannt und einen
schlechten König. Kastja konnte keine Mondschwinge lieben, nicht er, nicht er,
als König. Je länger er darüber nachdachte, desto unwirklicher erschien es ihm,
aber er dachte auch an sich und seinen

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