Mondschwingen (German Edition)
Burg. Toiva hatte ihm schon gestern Morgen angeboten, wieder mit ihr im
adligen Speisesaal zu essen, aber er wollte lieber ungestört mit Fumo reden.
„Ich würde mit keinem
meiner Füße Skopenvang betreten. Die Menschen dort sind blutrünstig.“
Linus erwiderte nichts.
Er wollte nicht schon wieder von Mortis‘ Tod erzählen, von seinen Worten, die
er noch immer nicht verstand. „Ich weiß nicht“, wiederholte er und zuckte mit
den Schultern.
Sie verließen den Palast
und huschten durch die dunkelgrünen Gassen, durch die der Wind pfiff.
„Vermisst du sie?“,
fragte Fumo, als sie so nebeneinander liefen und gegen das Schneegestöber
ankämpften. „Das Mädchen? Vermisst du sie?“
Linus lief schneller,
der Wind riss an seinen Haaren. „Ich denke schon.“ Natürlich vermisste er sie.
Sogar sehr. Sie war die Einzige gewesen, der er vertraut hatte, obwohl er sie
noch nicht lang gekannt hatte. Ihre Flucht oder was auch immer es gewesen war,
war so plötzlich gekommen, dass er sich gar nicht richtig verabschiedet hatte.
Fumo bog in eine schmale
Seitengasse ein. Er hatte Linus lange überreden müssen, ihn zu Thabäus, dem
Spionausbilder, zu begleiten. Was sollte er bei Thabäus, wenn er nicht einmal
Spion werden wollte?
„Thabäus freut sich über
jeden neuen Spion. In diesen Tagen kommen nicht viele.“ Fumo blieb vor einem
Haus mit bretterverschlagenen Fenster stehen und drückte die Tür auf. Im
Zwielicht konnte Linus einen hohen Raum erkennen, eine Treppe wurde von wenigen
Lampen beschienen und ansonsten waren da nur Bücher, Bücher wohin man schaute.
Linus hielt die Luft an
und staunte. Er erinnerte sich an die diebischen Zeiten auf der Frostburg, als
er für Mortis Bücher gestohlen hatte. Das letzte Mal war gar nicht so lange
her, nur wenige Tage, aber es war ihm, als seien Jahre seitdem vergangen …
jetzt fühlte er sich zurückversetzt, in eine andere Zeit, zurückgepustet in
sein altes Leben.
Die staubigen Regale
türmten sich an den Wänden, manche sahen gefährlich schief aus, ächzten
knackend unter ihrer Last.
„Fabelhaft, nicht wahr?
Ich kann zwar noch nicht richtig lesen, aber ich find das toll!“ Fumo
schüttelte ungläubig den Kopf, als würde er das Treppenhaus das allererste Mal
betrachten. „Kannst du lesen?“
Linus konnte mit dem
Staunen fast nicht aufhören, er nickte kurz und guckte weiter.
„Natürlich kann er das.
Nicht jeder ist so doof wie du.“ Ein korpulenter Mann trat aus dem Schatten
eines Regals und lief die Stufen hinab. „Wie ich sehe, hast du mir einen neuen
Spion mitgebracht?“
„Na ja, er wollte mich
eigentlich nur hierher begleiten, aber …“
„Begleiten kann er eine
alte Frau. Wenn er schon hier ist, soll er auch bleiben. Wie ist dein Name,
Junge?“ Die Treppen knackten unter dem Gewicht des Riesen, sein kahlgeschorener
Kopf glänzte im Licht.
„Linus, mein Name ist
Linus.“
„Und meiner Thabäus.
Aber das weißt du wohl bereits und du weißt auch, dass ich der einzige bin, der
Spione ausbildet? Ja, das weißt du sicherlich auch.“ Thabäus hielt inne und
schaute zu Linus hinab. „Ich kann neue Spione vertragen. Und die Königin auch.
Aber leider tauchen in den letzten Tagen keine mehr auf.“
„Dafür sind wir ja jetzt
da.“ Fumo grinste. „Was steht heute an?“
„Wir bleiben im
Treppenhaus, draußen kann man heute keine Übungen machen. Aber du bist mir zu
schnell, Fumo, so weit bin ich noch nicht. Oder glaubst du nicht, dass dein
teurer Freund an deiner Seite nicht etwas übers Spionenleben wissen will?“
Thabäus holte Luft und klopfte sich auf die breite Brust. „Die Ausbildung
braucht ein halbes Jahr, danach wirst du probeweise irgendwo hingeschickt, wo
schon ein erfahrener Spion arbeitet und dem du über die Schulter gucken kannst.
Danach kommst du wieder hierher zu mir zurück und du musst eine Prüfung
ablegen. Wenn du gut genug bist, bist du fortan ein Spion, wenn nicht, musst du
ein weiteres halbes Jahr in die Lehre. Fumo war schon zweimal nicht gut genug.“
Fumo verdrehte die
Augen. „Das ist niemand, in den Augen von Thabäus. Jeder Spion ist mindestens
ein Mal bei ihm durchgefallen, er ist der Schrecken aller Elstern.“
„Wenn du mit deinem
spöttischen Geschwätz nicht aufhörst, wirst du auch die nächsten zwanzig
Prüfungen nicht bestehen!“ Thabäus winkte Fumo und Linus zu sich herauf, er
drehte sich zu
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