Mondschwingen (German Edition)
vom
Dach und stopfte es in den Kamin. „Sie ist manchmal in den Sommerwald gekommen,
ohne dass die anderen Kinder sie gesehen haben. Nicht oft, das weißt du ja, es
tat uns weh, mehr nicht.“
Svija hatte sie für ihre
Mutter immer beneidet, obwohl sie sie nicht oft gesehen hatte. Den Vater hatten
sie sich manchmal nachts vorgestellt, blutrünstig, mit roten Augen und einer
dreckigen Glatze und nur einem Bein.
„Ich bin mir nicht
sicher, ob mein Vater weiß, dass ich im Sommerwald lebe. Selbst wenn er es
wüsste, würde er keinen Verdacht schöpfen, denn er weiß nicht, dass Gwaedja die
Aufsässigen anführt.“
„Hat sie endlich gesagt,
wer dein Vater ist?“ Svija hätte so gerne gewusst, wer er war. Er musste ein
Feind sein, so viel konnte sie sich denken, aber es fehlte noch immer das
Gesicht dazu.
Amber hörte auf, Moos zu
zupfen. „Ich weiß es schon lange, Svija, seit ein paar Jahren schon. Vielleicht
hab ich es dir nicht erzählt, weil ich es selbst nicht wahrhaben wollte.
Vielleicht weil ich mich vor der Wahrheit fürchte.“
Es war still auf einmal,
so still. „Er ist ein Mensch, mein Vater. Er ist der Sternenjägerführer, Kastja
ist sein Name, du kennst ihn sicherlich.“
Ihre Worte waren wie ein
Kinnhaken, ein kräftiger, der Svija fast vom Giebel fegte.
„Du bist eine Zerrissene“,
sagte sie atemlos. „Du bist gar keine Mondschwinge.“
„Nur zur Hälfte. Und
weißt du was? Ich bin ihm begegnet, meinem Vater, vorgestern Nacht. Wir haben
tatsächlich gedacht, dass wir gegen die Jäger ankommen könnten, aber wir hatten
keine Chance. Als ich mit Frode geflohen bin, hat uns Kastja eingeholt. Ich
wusste, dass er es war, Gwaedja hat ihn mir oft genug beschrieben. Ich habe mir
die Kapuze vom Kopf gezogen und ihn gefragt, ob er mich kennt.“ Ambers Haare
wirbelten im Wind und verfingen sich im rostigen Kamin. „Und er hat mich gehen
lassen, einfach so. Er hat überhaupt nichts dagegen getan. Vielleicht hat
Gwaedja recht, denke ich. Vielleicht ist Kastja gar nicht so brutal.“
Svija verdrehte die
Augen, schlug die Fersen auf die Ziegel. Sie sah gelassen aus, so wie sie dasaß
und mit den Füßen wackelte, aber eigentlich war sie zornig, wieder einmal.
Zornig darauf, dass nichts so war und sein konnte, wie sie es gerne hätte. Sie
hatte sich ihre Rückkehr anders vorgestellt. „Kastja ist brutal. Er ist der Anführer
der Jäger.“ Sie merkte, dass sie nicht wie eine allerbeste Freundin klang, aber
im Moment konnte sie nicht anders. „Ich hab ihn vor ein paar Tagen gesehen,
deinen Vater. Er hat fast Linus umgebracht, den Jungen von der Frostburg.“
Amber bewegte den Kopf.
„Ja.“ Mehr sagte sie nicht.
„Und das mit deiner
Bande … ich hab dir schon oft gesagt, was ich davon halte.“ Svija hörte sich
wie eine Mutter an, wie eine schlechtgelaunte noch dazu. Aber es stimmte, was
sie sagte. Sie hatte es Amber schon so oft gesagt, dass ihre Dieberei noch
schlimm enden würde. Amber hatte nie auf sie gehört.
„Und du weißt, was ich davon
halte. Ich mag die Elstern dort, ich mag Frode und Mervin und Finn. Ich mag den
Nervenkitzel.“ Sie stand auf und balancierte auf dem Giebel, fast so, als müsse
sie hier und jetzt ihre Vorliebe für Nervenkitzel unterstreichen.
„Gwaedja will es mir
auch ausreden. Sie ist ja schließlich für Frieden und wenn ich Menschen
bestehle, dann fördere ich wenn überhaupt nur den weiteren Streit.“ Amber zog
eine Grimasse und ruderte mit den Armen.
Svija packte Amber am
Ärmel und zog sie zu sich herunter. „Warum hast du mir nicht früher von Kastja
erzählt?“
„Ich weiß doch auch
nicht. Es tut mir leid.“ Amber sah nicht so aus, als ob es ihr leid täte. „Hat
es dir gefallen … in der anderen Welt?“
„Du hast mir oft davon
erzählt. Dass alles so weit ist und so anders. Ich mochte es nicht. Ich mochte
genau genommen gar nichts an dieser Welt, an dieser kalten, verkehrten Welt.“
„Nichts außer dem Jungen, stimmt‘ s?“ Amber
kniff sie in die Seite. „Ich hab’s dir vorhin angesehen, als du von ihm erzählt
hast, unten am Tisch.“
„Kann schon sein.“ Svija
stand auf, schlüpfte durchs Fenster im Dach und legte sich ins Bett. Maja lag
neben ihr und atmete leise. Sie teilten sich schon seit ein paar Wochen mit dem
kleinen Mädchen das Zimmer im obersten Stock.
„Irgendetwas stimmt
nicht mit dir“, wisperte Amber, ganz nah an Svijas Ohr.
Svija drehte sich um und
starrte in schwarze Augen. „Kann schon sein“,
Weitere Kostenlose Bücher