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Mondschwingen (German Edition)

Mondschwingen (German Edition)

Titel: Mondschwingen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Sand
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schwarze
Tinte ausbreitete.
    Der Morgenwind zerrte an Svijas Umhang und
ließ ihn flattern.
    Sie spürte Ambers Hand, irgendwo an ihren
kalten Fingerspitzen.
    Ein Tränensänger flatterte über ihre Köpfe
hinweg, nur das Schlagen seiner Flügel war zu hören, nichts außer seinen
großen, schwarzen Flügeln.
    Als die Weglosen vom Grab wegtraten, als
dort nur noch platte, kalte Erde war, stieg der Tränensänger auf, immer weiter,
bis der blasse Morgenhimmel ihn verschluckte.
    Svija wandte den Blick vom Grab ab und
schloss die Augen.

 
 
 
                                               

 

 
    LINUS
    und das
Erwachen

 
    Die Dunkelheit war dick und satt und
schwarz.
    Linus hatte die Augen weit aufgerissen, schaute
sich um, so gut es ging. Den Kopf konnte er fast nicht bewegen, überall stieß
er auf Widerstand. Er trat mit den Beinen, mit den Armen, bewegte seinen
Oberkörper, doch mehr Platz konnte er sich dadurch nicht verschaffen. Im
Gegenteil; ihm schien als rückten die Wände um ihn herum ein bisschen näher.
    Die Panik überfiel ihn jäh, er schnappte
nach Luft und keuchte.
    Ich träume, schoss es ihm durch den Kopf,
doch dafür fühlte sich die Wand über ihm viel zu kalt an, viel zu hart.
    Erinnerungen stürmten auf ihn ein, Mortis,
wie er starb, die Wüter in der Nacht, die Schreie … das konnte nicht alles, das durfte nicht alles sein, da musste
noch mehr passiert sein, viel mehr …
    Er spürte Stoff an seinem Hals, rau war er
und kratzig. Wieder trat er um sich, viel stärker und wütender jetzt, bewegte
die Arme, bis das Tuch nicht mehr ganz so dicht um ihn lag.
    Wo um
Himmels willen bin ich?
    Seine Hände wanderten hinauf, seine Finger
gruben sich in die starre Kälte, durchbohrten sie Stück für Stück, bis etwas
auf ihn hinab regnete.
    Und auf einmal verstand er. Es war Erde.
Kalte, harte Erde.

 
 
 
 
 
 

 
    SVIJA
    und die
Höhlen der Weißen

 
 
    Svija weinte nicht mehr.
    Die Weglosen waren schon lange weg. Stumm
waren sie gegangen, als die Sonne aufgegangen war. Sie hatten den beiden
Mädchen zugenickt und waren hinter den Bäumen verschwunden. Als sei nichts
geschehen, als sei alles noch wie zuvor. Sie zogen weiter, durch Wälder, über
Flüsse, über Seen und machten dabei ihrem Namen alle Ehre.
      „Denkst du an ihn?“, fragte Amber und setzte
sich neben Svija. Ihr weißes Haar umfloss ihren Rücken wie silbernes Licht.
    „An Linus?“ Svija zuckte mit den Schultern.
„Ich denke an vieles.“
    „Er fehlt dir, nicht?“ Amber fuhr mit der
Hand über das gefrorene Gras, so vorsichtig und sanft, als wollte sie es
streicheln.
    Svija nickte rasch und schaute fort. Zu den
Bäumen, zu der Dunkelheit, irgendwohin, nur damit Amber ihre Tränen nicht sah.
Verdammter Mist! Als würde Heulen Linus zurückholen.
    „Du hast ihn … gemocht, nicht wahr? Ich hab
gesehen, wie du ihn geküsst hast, gestern Nacht. Oder er dich, ich weiß es
nicht.“ Amber schluckte, ihre Hand hielt inne. „Es tut mir leid.“ Das hatte sie
oft gesagt, seit heute Morgen. Es waren nichts als
Worte, geflüstertes Nichts.
    Sie saßen einfach nur nebeneinander,
schauten in die Dunkelheit, zu dem Grab hinüber, ein Haufen Erde in einem Meer
aus eisigem Gras.
    „Ich denke, wir sollten aufbrechen“, sagte
Amber plötzlich, ohne den Blick abzuwenden. Sie stieß es schnell hervor, als
hätte sie diesen einen Satz schon lange sagen wollen.
    „Es ist schlimm, mit Linus … du trauerst
sicher sehr um ihn. Aber da ist noch Gwaedja, sie sitzt vielleicht schon in den
Kerkern, vielleicht soll sie bald getötet werden. Wenn ich jetzt nichts tue und
auf den nächsten Morgen warte, ist es vermutlich schon zu spät. Ich muss etwas
tun, Linus hin oder her.“
    Linus hin oder her. Noch immer sagte Svija
nichts. Blicklos saß sie in der Dunkelheit, reglos und stumm.
    „Wie wollen wir schon gegen den Tod
ankommen?“, flüsterte sie, sehr leise nur.
    Amber sah sie endlich an. „Das ist nicht
dein Ernst, oder?“ Es war ein Zischen, wütend hörte es sich an. Sie schnaufte
und schloss die Augen. „Wir dürfen nicht aufgeben, nicht jetzt, wo wir schon
die schlimmsten Hindernisse überwunden haben.“
    „Die schlimmsten Hindernisse.“ Svija biss
sich auf die Lippe. Leben kehrte zurück und mit ihr auch der Hass auf diese
viel zu kalte Welt. „Du glaubst, das waren die schlimmsten Hindernisse?
Vielleicht sind wir Wütern begegnet und Pfeilen und sogar dem Tod –

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