Mondschwingen (German Edition)
überwallte Svija, schnürte ihr die
Kehle zu. Die schwarzgekleideten Gestalten waren Feinde, ansonsten hätten sie
nicht mit Pfeilen auf sie gezielt. Es waren Jäger, die ihren Opfern den Garaus
machten, sobald sie ihnen ein paar Namen und Geheimnisse entlockt hatten.
„Svija!“
Eine Stimme. Eine Stimme, die ihren Namen gerufen hatte. Laut, viel zu laut.
„Ich hab doch gesehen, wie du dich bewegt
hast, deine offenen Augen. Dem Nordelch sei Dank, ich dachte, du müsstest
sterben, ich hatte keine Hoffnung mehr.“
Amber. Es war Amber, das dumme Mädchen.
Warum konnte sie den Mund nicht halten?
Sie öffnete die Augen, sehr langsam, sah
Ambers Gesicht über sich.
„Meine Güte, bist du erfroren, oder warum
bist du so starr?“ Amber lachte. Es klang nicht echt, blechern, beinahe
besorgt. Ihre Hände tasteten sich zu Svijas Handgelenken hinunter, um ihren
Puls zu fühlen. Erst jetzt huschte ein ehrliches Lächeln über ihre Lippen. „Du
bist weder tot noch halbtot“, stellte sie fest und strich Svija das Haar aus
dem Gesicht. „Nun sag schon was!“
„Sei leise. Die Jäger …“ Svijas Worte waren
kaum mehr als ein Hauchen.
Amber grinste. „Das ist es also.“ Sie
winkte eine schwarzgekleidete Frau mit Adlernase zu sich heran und schob sie
näher zu Svija heran. „Könntet Ihr dem Mädchen sagen, wer Ihr seid. Ihr und die
Anderen?“
Die Frau schürzte die Lippen. Sie war
hübsch, auf eine eigentümliche Art und Weise. Das blonde Haar hatte sie nach
hinten gebunden. „Eine Weglose natürlich. Wie all die anderen. Wir gehören zu
niemandem, weder zu den Menschen, noch zu den Mondschwingen, wir gehören nicht
in ihre Welt und sie nicht in unsere. Wir leben überall und nirgendwo.“ Sie
schüttelte Svijas schlaffe Hand. „Ich bin Jorda, weder Mensch noch Schwinge.“
Sie ging weiter, ohne noch irgendetwas zu
sagen.
„Sie dachten, wir sind Elstern, dass wir
sie angreifen und ausbeuten. Sie haben nicht viel bei sich, doch es ist das
Einzige, was sie besitzen. Sie haben uns mit ihren Pfeilen beschossen, mit
giftigen, du hast zwei abbekommen, Linus sogar drei, mich hat einer nur
gestreift.“ Sie schaute sich um und beugte sich noch ein wenig tiefer zu ihr
herunter. „Wenn du mich fragst, sind sie ein bisschen … seltsam. Sie meinen,
ein Leben in Armut würde ihre Sünden reinwaschen, sie leben enthaltsam, sagen
sie und sie meinen, dass es Malvö zu einer besseren Welt macht.“
Svija hörte ihr gar nicht zu. Sie stand
schwerfällig auf und kniete sich neben Linus. Sein Gesicht schaute aus dem
Bündel heraus. Weiß war es, die Lippen waren blass. „Wie steht es um ihn?“
Amber sagte nichts. Svija drehte sich zu
ihr um, die Zerrissene schaute nur auf den Boden und wagte nicht den Mund
aufzumachen.
„Sag schon!“
„Nicht gut, fürchte ich. Gar nicht gut.“
Mit einem Mal war sie ernst, all ihre Überschwänglichkeit fiel klirrend von ihr
ab. „Die drei Pfeile sind nicht das Problem, sie haben Kräuter gegen das Gift,
es braucht ein paar Tage zu wirken, du hast zwei Tage lang geschlafen … aber
Linus … er will gar nicht mehr aufwachen. Er wurde an der Seite von einem
Krallwüter gebissen. Sieht übel aus, kann ich dir sagen.“ Sie zeigte eines
ihrer Beine, lange, rote Striemen waren darauf zu sehen. „Ich wurde nur
gekratzt.“ Sie schaute auf, langsam, mit flackerndem Blick. „Es tut mir leid.
Dass ich zu euch gekommen bin. Das war dumm.“
Svija nickte, rote Wutflecken krochen ihr
am Hals hinauf. „Das war es, ja.“ Die Worte hatte sie sich nicht verkneifen
können, sie brannten ihr auf der Zunge. Sie musste bittere Vorwürfe
hinunterschlucken, böse, keifende Worte.
„Ich bin sicher, dass er überlebt.“ Amber
legte ihre Hand auf Svijas Schulter.
Sie wirbelte herum, das Gesicht dunkelrot,
doch sie sagte nichts.
„Seine Wunde wird verheilen, er wir
durchkommen, er wird nicht sterben.“ Ambers Worte klangen wie eine Beschwörung,
leise nur und kaum verständlich.
Die Tränen wollten wiederkommen, heiß
brannten sie in Svijas Augen. Die kahlen Bäume verschwammen vor ihren Augen zu
einem verworrenen Netz aus braunen Farben.
Sie strich Linus über das Gesicht. „Warum
tut denn niemand was? Er wird sterben, wenn nicht bald etwas geschieht!“ Sie
hätte geschrien, wenn sie gekonnt hätte, aber sie war zu kraftlos, viel zu
schwach.
Amber kniete sich neben sie. „Sie tun, was
sie tun können. Wenn sie es nicht schaffen, dann schafft es niemand.“ Es waren
hohle Worte, mehr
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