Mondschwingen (German Edition)
Trotzdem regte sich Rubens nicht mehr. Er versuchte
zu überlegen, auch wenn es aussichtslos war.
Direkt vor seinem Gesicht
war das Maul des Fisches. Er hatte es weit aufgerissen, lange, scharfe Zähne
blitzten ihm im dämmrigen Licht entgegen. Der Mähnenbeißer hatte Hunger.
Und plötzlich erinnerte
sich Rubens an das Schwert an seiner Seite. So gut es ging, schob er die Arme
nach außen, um mehr Platz zu haben. Er spürte den Ledergriff seines Schwertes, er
fühlte sich anders an im Wasser.
Die Waffe sauste umher,
ohne Kontrolle, ohne Verstand durchschnitt sie die allerersten Arme, Krallen
lösten sich von Rubens‘ Haut. Das Brüllen des Mähnenbeißers klang dumpf und
unwirklich unter der Oberfläche.
Blut waberte in der
Dunkelheit. Immer mehr Arme lösten sich, das Schreien wurde schriller und
irgendwann gab der Mähnenbeißer seine Beute frei und ließ sie fliehen.
Rubens schwebte und
schwamm zugleich. Er war noch nie im Wasser geflogen, er hatte auch noch nie
davon gehört, doch es funktionierte.
Keuchend durchstieß er
die Wasseroberfläche, der Himmel über ihm begann zu rotieren, zerfloss zu zähem
Nichts und verschwand schließlich, als er das Bewusstsein verlor.
„Willkommen zurück!“
Rubens öffnete langsam
die Augen und sah in Nigs‘ bleiches Gesicht.
„Wir dachten, Ihr seid
tot. Wie so viele andere von uns, bedauerlicherweise.“
Er schüttelte den Kopf
und kniete sich zu Rubens nieder. Ihm war so kalt, obwohl er unter mehreren
Decken lag und warme Klamotten trug.
„Wir haben Euch heute
Morgen schreien hören und haben den See nach Euch abgesucht. Nun … nach einer
Weile seid Ihr ja dann von selbst gekommen. Mehr oder weniger.“ Nigs sah ihn
nachdenklich an. „Die Krallenspuren an Eurem Hals … ich nehme an, dass sie von
einem Mähnenbeißer stammen?!“
Rubens nickte
schwerfällig. „Ich wäre fast gestorben da unten.“ Sein ganzer Körper schüttelte
sich, als er hustete. Man musste das Schlimmste befürchten. „Wie viele … sind
gestorben? Ich habe so viele Trümmer auf dem See gesehen …“
„Es sind viele. Über die
Hälfte unserer Schiffe sind zerstört worden, ein weiteres hat ein großes Loch
in der Schiffswand, doch es müsste die weitere Jagd überleben. Ich schätze,
dass auch über die Hälfte der Jäger umgekommen ist. Ich wünschte, ich würde
mich irren.“
„Über die Hälfte.“
Rubens rappelte sich auf. „Seid Ihr sicher?“
Über die Hälfte der
Jäger! Das war ein unwahrscheinlich großer Teil des Bundes, ein Viertel, wenn
nicht sogar noch mehr. Und Rubens hatte sie geführt … er hatte die
Verantwortung getragen. Kastja hatte ihm vertraut.
Die Tränen kamen einfach
so, Rubens konnte nichts dagegen tun.
„Es ist eine wahrlich
tragische Geschichte.“ Nigs stand auf und klopfte sich den Staub von den Knien.
„Wir hatten nicht erwarten können, dass sie Kanonen besitzen. Und auch noch so
viele …“
„Ich habe alles falsch
gemacht.“ Rubens fiel es schwer zu sprechen, die Wahrheit war nur schwer zu
ertragen. „Die Jagd ist gescheitert.“
Nigs schaute aus dem
kleinen Bullauge an der gegenüberliegenden Wand. Man sah Trümmer und Nebel
dahinter. „Das denke ich nicht. Die Jagd bis hierhin war schlimm und ich stimme
Euch zu, dass Ihr alles falsch gemacht habt. Hättet Ihr früher auf mich gehört,
wären all die Tote nun nicht tot.“
Rubens wusste natürlich,
was Nigs meinte.
„Ich denke hingegen
nicht, dass die Jagd gescheitert ist. Sie wird weiter gehen, trotz allem. Mit
mir an der Spitze.“ Nigs plusterte sich wie ein dicker Vogel auf und schüttelte
sich das Haar aus dem Gesicht. „Da wir der Annahme waren, dass Ihr gestorben
seid, mussten wir einen neuen Anführer wählen. Dank meiner erfreulichen Gabe
dauerte die Wahl nicht besonders lang, muss ich sagen. Es tut mir leid, Rubens,
Ihr seid kein Anführer mehr, von nun an wird alles in meiner Hand liegen.“
Rubens lachte, klang
beinahe schon hysterisch.
„Das ist nun wirklich
nicht der angemessene Augenblick, um zu lachen“, empörte sich Nigs zögernd.
„Nach allem was passiert ist.“
„Ist es angemessen, wie
Ihr Euch verhaltet?“
Nigs ging ihm auf die
Nerven, mit seinem dämlichen Krötengrinsen, wie er immer auf den Zehenspitzen
stand um nicht ganz so klein auszusehen.
„Was ist schon
angemessen, Rubens? Ich weiß es nicht, ehrlich gesagt. Doch ich bin der
Ansicht, dass
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