Mondschwingen (German Edition)
nun ich an der Reihe bin, nach all den Fehlern, die Euch
unterlaufen sind.“ Nigs stand an der Tür, schritt vor und zurück, als wolle er
so schnell wie möglich gehen.
„Fehler? Die Sache mit
dem überstürzten Angriff war allein Eure Idee und das wisst Ihr selbst. Warum
Ihr nun an der Macht seid, liegt nicht daran, was ich gemacht habe, sondern
daran, was Ihr noch machen wollt, oder nicht?“
Nigs sah ihn ungerührt
an. „Ja, womöglich schon. Ihr habt es erfasst, Rubens. Ich denke, es ist Zeit,
die Jagd fortzuführen und zu gewinnen. Und diesmal wird alles genau so
geschehen, wie ich es will.“
„Und Ihr glaubt nicht,
dass ich nichts dagegen habe? Ich oder irgendjemand sonst?“
„Hier geht es nicht
darum, was Ihr wollt, Rubens. Das hat
noch nie jemanden interessiert außer Kastja. Und was den Rest angeht … die Truppe
steht hinter mir, vor allem nach dem Angriff gestern Nacht. Sie wollen
gewinnen, egal wie. Und ich auch, Rubens, ich auch.“
Er wandte ihm den Rücken
zu und ging. Rubens raffte sich auf, so schnell es ging. Seine Glieder
schmerzten, taten bei jedem Schritt ein bisschen mehr weh.
„Ihr könnt nicht einfach
so über meinen Kopf hinweg entscheiden, Nigs. Kastja wäre dagegen!“ Er war sich
längst nicht mehr sicher, ob Kastja ihm noch immer vertrauen würde, nach allem
was passiert war. Schwerfällig stieg er eine schmale Treppe zurück aufs Deck
hinauf und folgte Nigs durchs stöhnende Gewühl. Überall lagen verletzte Jäger,
bleich und weiß im Gesicht, weil sie noch nicht einmal Decken zum Wärmen
hatten.
Rubens hatte Nigs
eingeholt und drückte ihn gegen die Reling.
„Was wollt Ihr jetzt
machen?“, fragte Nigs grimmig.
Rubens spürte die Blicke
in seinem Rücken.
„Ich will nicht, dass
Ihr Geister ruft. Es wäre das Ende unserer Ehre.“
„Und wenn schon.“ Nigs
befreite sich aus Rubens‘ lockeren Griff und schob sich an der Reling weiter
nach hinten. „Ihr werdet mich nicht daran hindern. Dafür weiß ich zu viel über
Euch.“
„Wenn Ihr so viel wisst,
warum verratet Ihr dann nichts?“ Rubens ahnte, dass er zu viel wagte. Dutzende
Jäger sahen zu ihnen herüber und hörten jedes einzelne Wort.
„Ich bin doch nicht
herzlos!“ Nigs faltete die Hände in nachdenklicher Andacht. „Ich bin allerdings
herzlos genug, um meinen Feinden möglichst große Schmerzen zuzufügen. Stellt
Euch nur vor, Rubens, ich beschwöre tote Mondschwingen und ihr Heerführer wird
Einar sein. Der tote Mondschwingenkönig! Er und seine verstorbenen Verbündeten
werden meinen Wunsch und Auftrag erfüllen müssen, ob sie wollen oder nicht.“ Er
beendete sein stilles Gebet und verbeugte sich spöttisch vor Rubens. „Die
Geister werden gerufen!“
SVIJA
und der böse Bruder
Thijs schaute den
Mädchen entgegen. Er erhob sich von seinem Thron und lief die Treppen des
Podests herunter.
„Ich nehme an, der Junge
lebt noch. In den Gräberhöhlen, nicht wahr?“ Thijs klang furchtbar gelangweilt.
„Sehr erfreulich.“
„Wir sind aus einem
anderen Grund hier.“ Amber sah ihren Bruder böse an. „Es geht um den Krieg mit
den Jägern. Du wolltest schon bald damit beginnen.“
Thijs trat einen Schritt
zurück. „Vielleicht morgen, spätestens in zwei Tagen, länger möchte ich nicht
mehr warten. Die meisten Jäger sind fort, Kastja ist uns mit einigen anderen
beinahe schutzlos ausgeliefert und …“
„Das wissen wir doch
alles schon“, erwiderte Amber ungeduldig und daraufhin war es erst einmal leise
im mickrigen Thronsaal. „Wir wollen mit dir über einen anderen Krieg sprechen,
du hast kein einziges Mal darüber nachgedacht, habe ich das Gefühl. Dabei ist
es so naheliegend.“
Thijs sah sie eine Weile
lang an, als verstünde er kein Wort. „Ein anderer Krieg? Ich nehme an, du sprichst
von Skopenvang. Ich möchte nicht leugnen, dass der Kampf wichtig ist, doch bin
ich der Annahme, dass ich mich entscheiden muss und meine Wahl fällt mir nicht
sehr schwer, zugegebenermaßen.“
Der Hass. Es war der
Hass, der ihn nicht nachdenken ließ. Wie konnte ein Sohn seinen Vater so sehr
verabscheuen?
„Es geht um das Leben
der Mondschwingen.“ Diesmal sprach Svija. Wenn auch nur mit dünner Stimme.
„Und ihr glaubt, wir
können sie noch retten? Ich kann schon länger nicht mehr daran glauben, ehrlich
gesagt.“ Thijs stand wieder mit dem Rücken am Wandteppich, hinter ihm ging es
geradewegs zu den Kerkern, zu Gwaedja, die von ihrem Sohn verraten worden
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