Mondschwingen (German Edition)
viel zu dünne Arme von Amber. Sie
bewegte sich nicht, kein Stück.
„Du bist genauso wie
Kastja. Wenn du das irgendwann merkst, wird die allerletzte Hoffnung auf Glück
gestorben sein. Wenn du gesehen hast, was Rache aus dir macht. Du tust mir
leid, großer Bruder, du bist verloren.“
Svija schauderte. Zu
spät, alles zu spät.
„Tragt sie fort“, befahl
Thijs tonlos und rückte zur Seite.
Der eine Wächter fasste
den Teppich und hob ihn empor, der andere zog Amber mit sich, durch die
schattenhafte Tür, die hinter der eingewebten Landschaft versteckt gewesen war.
Dahinter ging es Stufen hinauf, man hörte ihre schweren Schritte. Amber blickte
sich kein einziges Mal um, kein Wort, kein Abschied, nichts. Sie ging einfach
so.
Thijs klatschte in die
Hände, als sei nichts gewesen. Doch man sah ihm an, dass er nicht glücklich war.
Allein, dachte Svija,
jetzt ich bin allein.
„Nur du bleibst übrig.
Was mache ich mit dir, wozu kannst du taugen.“ Es war keine Frage, Thijs dachte
nur laut nach. Er lief ans andere Ende des Thronsaals und kam wieder zurück,
als wollte er nur kurz einmal spazieren gehen. Sein bleiches, müdes Gesicht sah
jünger und unsicherer aus denn je. Er war ein Kind, ein vergessener Sohn, mehr
nicht.
„Lasst mich gehen“, entgegnete sie zaghaft. Sie
klang ganz anders als sonst. Angst und Schmerz veränderte Menschen und
Mondschwingen allzu schnell.
Thijs kicherte. „Du
musst ahnen, dass ich dich nicht gehen lassen kann, Svija. Dafür weißt du schon
zu viel.“
Thijs drehte sich einmal
im Kreis, eine wacklige, stolpernde Pirouette. „Ich muss dich in den Augen
behalten, das ist klar, ich muss dir eine Aufgabe geben, etwas, das dich
ablenkt. Nicht lange sicherlich, der Spuk ist ohnehin bald zu Ende. Warte nur
noch bis wir die Dunkelmondburg erobert haben, dann wird der Schrecken auch für
dich ein Ende haben.“ Er drehte die Daumen, er kostete Svijas fürchterliche
stille Neugier aus, er schmatzte zufrieden. „Morgen wirst du für einen Moment
all deine Sorgen vergessen, denke ich mir. Morgen“, verkündete Thijs mit weit
aufgerissen Augen „wirst du mit mir in den Krieg ziehen!“
TOIVA
und das schwarze Wasser
Alle warteten sie auf
Toivas Urteil.
Die Königin stand an der
Reling, wartete zwei, drei Sekunden und hob schließlich die Hand. Dann wurde
der Jüngling in die Tiefe gestoßen und dem Schicksal überlassen.
Verdobal schrie nicht
laut, er zappelte hilflos im Wasser wie ein gefangener Fisch, kratzte an der
Schiffswand und fand trotzdem keine Leiter und kein Seil. Er musste für seinen
Fehler bezahlen, er musste sterben.
Er war es gewesen, der
das Schiff der Jäger bombardiert hatte, während einige Mondschwingen noch auf
Deck gekämpft hatten. Mindestens fünf Elstern hatten bei dem unüberlegten und
überaus dummen Angriff ihr Leben lassen müssen.
Toiva trat von der Reling
zurück und ging unter Deck. Sie lebte in einer schmalen Kajüte, in die nur ein
Bett und ein wackliger Schreibtisch passte .
„Ich schaue nicht gern zu,
wenn Ihr meine Männer über Bord werft!“ Uselb stand auf der Schwelle und
betrachtete Toiva mit Rabenaugen.
„Ich auch nicht“,
seufzte Toiva. Sie setzte sich auf die Bettkante und unterdrückte den Drang, an
ihre schmerzende Hüfte zu fassen. Sie tat noch immer weh, obwohl sich eine Magd
um sie gekümmert hatte. „Ich mag es allerdings auch nicht, wenn meine Männer
Dinge befehlen, die meine sämtliche Autorität untergraben.“
„Und wenn sie
unehrenhaft handeln, nicht wahr? Euch passt es nicht, wenn Eure Männer nicht
nach dem Ehrenkodex handeln. Keine Kanonen, kein Angriff auf verletzte Feinde,
die wir in die Ecke getrieben haben. Hauptsache, Ihr müsst Euch im Nachhinein
nichts vorwerfen.“ Der Feldherr redete sich in Rage und er erlaubte sich dabei
mehr, wie ihm zugestanden hätte.
Toiva hörte ihm
gelangweilt zu. Sie musste sich nicht dafür rechtfertigen, dass sie die zwei
verschonten Jägerschiffe hatte ziehen lassen. Sie war die Königin und ihre
Befehle waren richtig, egal wie falsch sie erscheinen mochten. Die Jäger lebten
und sie hoffte, hoffte auf eine eigentümliche Art und Weise, dass die Elster
namens Rubens noch lebte.
„Ich verstehe Euch nicht“, presste Uselb
hervor. „Manchmal glaube ich, die Falsche sitzt auf dem Thron, manchmal glaube
ich, dass Ihr uns mitten in den Tod hineinführt.“
Er biss sich auf die
Lippe, als hätte er gleich darauf erkannt, wie furchtbar seine
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