MondSilberLicht
Schneckentempo.
Als ich das nächste Mal erwachte, war es im Zimmer dunkel. Ich tastete nach meiner Nachttischlampe. Draußen hörte ich Stimmen. Nacht konnte es noch nicht sein. Vorsichtig bewegte ich meinen Kopf. Die Schmerzen waren nicht mehr so stark wie am Morgen. Ich setzte mich auf und angelte nach meinem Bademantel. Ich musste dringend auf die Toilette. Ganz langsam, um nicht wieder umzukippen, ging ich ins Badezimmer. Ich wusch mein Gesicht und putzte meine Zähne. Aus dem Spiegel sah mich eine Fremde an. Das konnte wohl kaum ich sein. Wenn ich sonst blass war, dann war ich jetzt weiß wie eine Wand. Unter meinen Augen lagen dunkle Schatten und meine Lippen waren von der Kälte blutrot und aufgesprungen. Ich suchte im Badschrank nach einer Wundsalbe, als Amelie hereinkam.
„Hab ich mich nicht verhört. Wie fühlst du dich?“ Abschätzend sah sie mich an, verkniff sich aber netterweise jede Bemerkung über mein Aussehen.
„Ich bin mir nicht sicher, ich glaube, es ist besser als heute früh. Ich brauche unbedingt eine Salbe für meine Lippen.“ Wieder hatte ich das Gefühl, keine Beine mehr zu haben, und ließ mich schnell auf den Wannenrand sinken.
Amelie sah mich erschrocken an und half mir auf.
„Komm, ich bringe dich ins Bett und dann frage ich Mom danach.“
Minuten später kam sie mit einer Wundsalbe zurück und setzte sich zu mir. Sie sah mir dabei zu, wie ich die Creme vorsichtig auftrug.
„Wir sollten dir ein Glöckchen ans Bett stellen, dann kannst du klingeln, wenn du etwas brauchst.“ Sie grinste mich an.
Ich ignorierte die Bemerkung.
„Möchtest du nicht wissen, was Calum gesagt hat?“
Ich versuchte, ein unbeteiligtes Gesicht zu machen, was mir nicht gelang. Amelie konnte sowieso nichts für sich behalten. Ich würde jedes Detail erfahren.
„Also, er war sehr besorgt. Natürlich wollte er dich heute Nachmittag besuchen kommen. Ich brauchte meine ganze Überzeugungskraft, um ihn davon abzuhalten.“ Abschätzend sah sie mich an. „Du verheimlichst mir doch nichts, oder, Emma? Sag schon, seid ihr zusammen und niemand soll davon wissen? Komm, ich verrate es auch nicht.“
„Amelie, glaub mir, wenn es so wäre, du würdest es als Erste erfahren.“
„Versprochen?“ Sie nahm meine Hand in ihre.
„Großes Indianerehrenwort.“ Gleichzeitig fingen wir an zu lachen.
Bree kam Minuten später ins Zimmer. Sie brachte mir die Antibiotika und eine Kleinigkeit zu essen. Zu meiner eigenen Überraschung merkte ich, dass ich Hunger hatte. Das war ein gutes Zeichen, vielleicht würde ich keine zwei Wochen brauchen.
Amelie blieb auf meinem Bett sitzen.
„Was soll ich ihm sagen, wenn er fragt, wann er dich besuchen darf?“
„Ich denke, in ein oder zwei Tagen sehe ich wieder aus wie ein Mensch, oder?“ Unsicher sah ich sie an.
„Ich glaube nicht, dass Calum dein Anblick etwas ausmachen würde. Er will nur sicher sein, dass es dir gut geht. Er ist da anders als die anderen Jungs. Ich werde ihm sagen, dass er Donnerstagnachmittag kommen kann. Bis dahin haben wir dich halbwegs hingekriegt. Bei Moms Fürsorge bleibt niemand länger als nötig im Bett. Es sei denn, man hat Lust zu ersticken.“ Sie schnitt eine Grimasse und verließ das Zimmer.
Ich kicherte in meine Bettdecke. Wie recht sie hatte.
Ich kuschelte mich ein und löschte das Licht. Noch Dienstag, Mittwoch und Donnerstag, dann würde ich ihn wiedersehen. Das waren gut und gerne noch über sechzig Stunden. Also noch dreimal schlafen.
Um die Warterei zu verkürzen, bat ich Amelie, für mich Bücher bei Sophie auszuleihen. Als jedoch der Stapel vor mir lag, konnte ich mich nicht entscheiden, was ich lesen sollte. Sinn und Sinnlichkeit hatte ich schon mehrfach gelesen. Ich versuchte mich an Die Unbesiegten von Faulkner, es gelang mir jedoch nicht, darin einzutauchen. Die Schmetterlinge in meinem Bauch hatten geschafft, was noch nie jemandem gelungen war: Ich konnte mich nur mit viel Mühe auf die Zeilen vor mir konzentrieren. Ständig schweiften meine Gedanken ab und ich versuchte, mich an jedes Wort von Calum zu erinnern. Immer wieder musste ich von vorn anfangen, da ich nach ein paar Zeilen nicht mehr wusste, was ich gelesen hatte. Vielleicht war das Buch auch einfach nichts für mich.
Verzweifelt ging ich den Stapel noch mal durch. Der Herr der Ringe war dabei, das Buch hatte ich ebenfalls schon verschlungen. Zum Schluss fand ich etwas. Von Wer die Nachtigall stört, hatte ich zwar gehört, es aber noch nicht gelesen.
Ich zog meinen
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