MondSilberLicht
Menge stöhnte auf, doch Ethan ließ sich nicht beirren.
„Ich weiß, ich weiß. Ich bin sicher, dass die meisten von euch schon mit ihren Eltern hier waren oder zumindest die Geschichten kennen. Trotzdem kann es nicht schaden, die alten Geschichten noch einmal zu hören.“ Er schwieg kurz und sah in die Runde, um sich zu vergewissern, dass alle aufmerksam lauschten.
„Die Legende von Nessie geht auf eine Begegnung mit dem Ungeheuer im Jahre 565 zurück. Damals rettete der Heilige Kolumban einem seiner Gefolgsleute, der sich auf dem See aufhielt, das Leben. Das Ungeheuer hatte einen Mann getötet und versuchte nun, einen anderen zu verschlingen. Der Heilige schlug es in die Flucht, indem er ein Kreuz in die Luft zeichnete und heilige Worte aussprach. Welche, das ist leider nicht überliefert.“
Während Ethan erzählte, wurde es still, nur das brennende Holz knisterte. Als er kurz schwieg, fingen einige der Mädchen an zu kichern. Ethan blickte sie streng an. Ich ließ meinen Blick wandern, da glühten mich von der anderen Seite Calums Augen an. Nur mit übermenschlicher Anstrengung gelang es mir, den Blick von ihm zu lösen. Danach brauchte ich einige Minuten, um Ethan wieder folgen zu können.
„Es dauerte ungefähr weitere tausend Jahre, bis erneut von einer Begegnung mit dem Seeungeheuer berichtet wurde. Offensichtlich hatte Kolumban das Monster ziemlich erschreckt.“ Er lächelte. „Aber von da an gab es regelmäßig neue Berichte über merkwürdige Erscheinungen im und um den See. Das berühmteste Bild ist aus dem Jahr 1934. Angeblich ist das Ungeheuer, das einen langen Hals und einen kleinen Kopf haben soll, darauf zu sehen. Später stellte sich das Foto jedoch als Fälschung heraus. Auch ein Benediktinerpater vom Kloster Fort Augustus beobachtete 1971 ungewöhnliche Dinge. Er berichtete, dass auf dem spiegelglatten See plötzlich eine starke Bewegung auszumachen war. Dann erschien ein schwarzer Hals, etwa zwei bis drei Meter lang, gefolgt von einem Höcker. Das Tier erhob sich und tauchte wieder unter. Nach diesem Bericht kamen immer mehr Leute hier zum See. Jeder wollte der Erste sein, der ein Foto des geheimnisvollen Seeungeheuers machte. Doch bis heute ist es niemandem gelungen, die Existenz von Nessie zu beweisen.“
Ethan schwieg. Es war völlig still. Plötzlich hörten wir ein lautes Geräusch vom See. Es klang, als ob etwas Großes aufs Wasser aufschlug oder eintauchte.
Ein paar Mädchen kreischten auf vor Schreck. Die Jungs sprangen auf und liefen zum See.
Ich bemerkte das alles nur am Rande. Meine Augen suchten Calum. Auch er war aufgesprungen, doch nicht zum See gelaufen. Er sah erschrocken aus, wie erstarrt. Dann drehte er sich um und ging zu seinem Zelt.
Nach der kurzen Unterbrechung wurde Ethan mit Fragen bestürmt.
„Was für ein Tier soll Nessie überhaupt sein?“, fragte ein rothaariges Mädchen, von dem ich den Namen nicht wusste, das jedoch mit mir im Sportkurs war.
„Dazu gibt es verschiedene Theorien, Maria“, erläuterte Ethan. „Oft wird Nessie als eine gigantische Seeschlange beschrieben. Sie soll Ähnlichkeit mit einem längst ausgestorbenen Saurier haben. Dieser lebte vor etwa hundertachtzig bis siebzig Millionen Jahren und hatte einen langen Hals, einen kleinen Kopf und winzige Flossen. Die Beschreibung könnte also passen.“
„Wenn es Nessie wirklich gibt, wie sollte sie so lange überlebt haben?“, fragte Tim.
Ethan nickte. „Das ist die Frage. Es kann sich unmöglich um ein und dasselbe Tier handeln. Es müsste sich fortgepflanzt haben. Doch mehrere Tiere würde man deutlich öfter sehen.“
„Das ist alles großer Quatsch“, warf Bryan ein, der mit Jamie im Arm mir gegenüber saß.
„Und wieso ist das Quatsch?“, fragte Amelie interessiert.
„Warum sollte ausgerechnet im Loch Ness ein Exemplar längst ausgestorbener Tiere überlebt haben?“
„Das ist keine Antwort auf meine Frage“, erwiderte Amelie hochmütig.
„Wovon könnte sich ein so großes Tier in einem See wie Loch Ness deiner Meinung nach ernähren?“, konterte Bryan mit einer Gegenfrage.
Mich wunderte, wie ernst alle das Thema nahmen. Das konnte doch nur ein Märchen sein. Obwohl, das hatte ich über andere Dinge auch gedacht. Was noch alles wahr war?
„Bryan hat recht mit seiner Skepsis“, mischte sich Ethan ein. „Der See bietet keine Voraussetzungen für das Überleben so großer Reptilien. Wegen der Tiefe des Sees ist es allerdings nicht möglich, diesen bis auf den Grund zu erforschen,
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