MondSilberLicht
zerstört und wieder aufgebaut wurden. Als wir dort ankamen, musste ich erst einmal durchatmen. Wir hatten ein ganz schönes Tempo vorgelegt. Die Lehrer waren fest entschlossen, uns müde zu machen. Es waren zweiundsiebzig Schüler mitgekommen, und wie ich Ethan kannte, wollte er heute Nacht keinen Ärger riskieren.
Die Festung war trotz ihres Verfalls für Besucher gut erschlossen. Zwar konnte man wegen der großen Zerstörung in der Vergangenheit nur Mauern besichtigen, aber wir stiegen in das alte Verlies hinab, wo uns einige der Jungs auflauerten und zu Tode erschreckten. Kreischend liefen Amelie und Jamie hinaus. Danach kletterten wir auf die Wehrplattform des Ostturms, das erschien uns sicherer. Der Ausblick auf die Wälder, Berge und den See entschädigte für den anstrengenden Fußmarsch. Als ich vom Turm hinunterblickte, konnte ich unten Calum stehen sehen. Valerie stand neben ihm. Ich biss mir auf die Lippen. Jetzt legte er einen Arm um ihre Schultern und zeigte mit der anderen Hand hinaus auf den See. Empört schnappte ich nach Luft.
Amelie folgte meinem Blick.
„Was macht Calum da? Zeigt er Valerie das Ungeheuer?“ Sie kicherte.
Mir war nicht nach Lachen zu Mute.
„Du darfst es dir nicht so zu Herzen nehmen, Emma. Es hat nicht funktioniert mit euch beiden. Das passiert.“
Was sollte ich darauf erwidern? Sie hatte ja recht. Ich lehnte meine Stirn gegen den kalten Stein der Burg und atmete tief durch.
„Alles in Ordnung, Emma?“ hörte ich plötzlich Calums besorgte Stimme neben mir. Er griff behutsam nach meiner Schulter, so dass ich mich zu ihm umdrehen musste. Meine Schulter brannte wie Feuer, da zog er seine Hand auch schon wieder fort.
Erschrocken sah ich ihn an. Ich hatte nicht bemerkt, dass Amelie nicht mehr neben mir stand. Stattdessen blickte ich in seine blauen Augen. Es brauchte eine Weile, bis ich etwas sagen konnte. Valerie hinter ihm musterte mich spöttisch.
„Ja, alles in Ordnung“, stammelte ich, drängte mich an den beiden vorbei und lief die Treppe hinunter.
Nachdem wir zum Zeltplatz zurückgekehrt waren, gab es einige Mutige, oder besser Verrückte, die sich in den eiskalten See trauten. Unter dem Jubel der Zuschauer stiegen sie ins Wasser und machten einige Schwimmzüge. Lange hielt es jedoch keiner aus und schnell kletterten sie heraus und hüllten sich in ihre Handtücher. Selbst Amelie stieg, wenn auch nur bis zur Hüfte, in den See. Ich bekam schon vom Zusehen eine Gänsehaut.
Wenig später machten wir uns an die Vorbereitung des Abendessens. Es sollte gegrillt werden, was für uns alle eine organisatorische Herausforderung darstellte. Schließlich einigten wir uns darauf, dass die Jungs grillen würden und wir Mädchen das Fleisch, Brot und Grillkartoffeln vorbereiteten. Einige gingen Holz sammeln, damit wir später ein Lagerfeuer anzünden konnten.
Ich wickelte mit Jamie einen riesigen Berg Kartoffeln in Alufolie. Tim kam zu uns geschlendert und bot seine Hilfe an. Zu meinem Verdruss drückte Jamie ihm umgehend einen Sack Kartoffeln in den Arm und er setzte sich, für meinen Geschmack viel zu nah, neben mich. Nur einsilbig ging ich auf seine Versuche ein, ein Gespräch mit mir zu beginnen. Dann zündeten wir ein Feuer an. Als die Glut durchgebrannt war, schoben wir die Kartoffeln in die heiße Asche. Wehmütig erinnerte ich mich an die Wanderungen mit meiner Mutter. Ich setzte mich vor das Feuer und versuchte die Tränen zu unterdrücken, die in mir aufstiegen. Als ich mich wieder im Griff hatte, atmete ich tief durch und sah mich suchend nach Amelie um.
Calum stand an einem der Grills und sah mich an. Ich konnte den Ausdruck in seinen Augen nicht deuten, aber es war weder Wut noch Zorn. Er sah frustriert aus.
„Emma, du musst auf das Feuer achtgeben.“ Tim riss mich aus unserem stummen Zwiegespräch.
Die lange Wanderung hatte mich hungrig gemacht und ich genoss es, am Lagerfeuer zu sitzen und die mehligen Kartoffeln aus der Alufolie zu pellen, um sie dann, nur mit Salz und Butter gewürzt, zu essen.
Als Nachtisch gab es Marshmallows. Peter hatte mit einigen anderen Jungs unermüdlich lange Zweige angespitzt, so dass jeder einen abbekam. Ich liebte dieses süße, warme, klebrige Zeug. Es war ungewöhnlich still, während alle damit beschäftigt waren, ihre Marshmallows genau im richtigen Augenblick aus dem Feuer zu nehmen.
Ethan nutzte die Ruhe und begann zu erzählen:
„Ich möchte natürlich nicht versäumen, euch etwas über die Legende des Sees zu erzählen.“
Die
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