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MondSilberLicht

MondSilberLicht

Titel: MondSilberLicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marah Woolf
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noch ein Mal sehen.
Ich trat ans Fenster und schaute hinaus. Eisiger Wind pfiff über die nebelverhangenen Wiesen. Ich öffnete trotzdem das Fenster und atmete die kristallklare Luft ein. Die Nacht war ungewöhnlich hell. Ich sah zum Himmel. Ein riesengroßer, kalter, weißer Mond stand dort oben. Vollmond.
Mir kam ein Gedanke, eine völlig verdrehte Idee. Konnte ich das wagen? Durfte ich das? Ich setzte mich auf mein Bett. Ich wusste, dass ich es tun würde, jetzt, da ich diesen Einfall einmal gehabt hatte.
Ich würde zwei oder drei Stunden warten und dann Amelies Auto nehmen.
Ruhelos ging ich in meinem Zimmer auf und ab. Ich hatte Durst, traute mich aber nicht, in die Küche zu gehen. Zu groß war meine Angst, dass Ethan mir meine Aufregung  ansehen würde.
Gegen elf wurde es still im Haus. Ich wartete weiter. Geduld, ich musste Geduld haben.
Eine halbe Stunde später zog ich mir meine dickste Jacke an und öffnete meine Zimmertür. Alles war ruhig. Vorsichtig schlich ich auf Strümpfen über die knarrenden Dielen. Hoffentlich hing der Autoschlüssel am Bord im Flur.
„Mist!“, fluchte ich leise.
Natürlich war er nicht dort, wo er hingehörte. Was nun? Amelie war den Wagen heute Nachmittag gefahren.
Ich kehrte um und schlich die Treppe hinauf. Leise öffnete ich ihre Zimmertür. Amelie schlief tief und fest. Ich rüttelte an ihrer Schulter.
„Amelie, bitte wach auf.“
Verschlafen drehte sie sich zu mir. Als sie mich in meiner Jacke an ihrem Bett sitzen sah, wurde sie schlagartig wach.
„Was hast du vor?“, fragte sie entgeistert.
„Amelie, du darfst mich nicht verraten. Ethan will mich zurückschicken.“
Erschrocken riss sie die Augen auf. „Mom würde das nie zulassen.“ Sie sagte das lauter als beabsichtigt.
„Sch“, zischte ich, „du weckst das ganze Haus.“
„Es ist alles beschlossene Sache, Amelie. Die Flüge sind schon gebucht. Nächsten Mittwoch werde ich zurück in die Staaten fliegen.“ Ich sprach langsam, damit Amelie, die immer noch verschlafen aussah, auch verstand.
Stumm nickte sie.
„Ich brauche die Autoschlüssel, ich muss noch ein Mal zu ihm, das verstehst du doch.“
Schneller als ich gedacht hatte, sprang sie auf und lief zu ihrer Jeans, die am Boden lag. Aus der Hosentasche kramte sie den Schlüssel.
„Sei vorsichtig, versprich mir das.“ Eindringlich sah sie mich an. „Und komm zurück, ja?“
„Wo soll ich denn hin, Amelie? Ich will mich von ihm verabschieden und ich fürchte, Ethan würde es nicht erlauben.“
Da schlang sie ihre Arme um mich und drückte mich fest.
„Wünsch mir Glück“, raunte ich ihr ins Ohr.
Dann schlich ich so leise wie möglich durchs Haus zurück, zog meine Schuhe an und lief hinaus.
Er hatte es mir verboten. Mehr als einmal hatte er mir gesagt, dass ich mich in einer Vollmondnacht dem See nicht nähern durfte. Auf keinen Fall durfte ich sehen, was in diesen Nächten geschah. Ausdrücklich hatte er mich gewarnt. In diesen Nächten konnte ein Aufenthalt am See meinen Tod bedeuten.
Ich konnte nicht anders.
Einmal wollte ich dabei sein, wenn er er selbst war und sich nicht hinter der Maske des Menschlichen versteckte.
Die Mythen der Schotten waren angefüllt mit Schauermärchen über die Shellycoats. Trotzdem glaubte ich zu wissen, was ich tat. Ich wollte keine Angst haben. Amelie dachte sicher, dass ich zum Pfarrhaus fuhr. Doch ich konnte dort schlecht einbrechen, um zu ihm zu gelangen. Es gab nur eine Nacht, in der Dr. Erickson ihn nicht hindern würde, das Haus zu verlassen, und das war bei Vollmond. Das war die einzige Chance für mich, ihn noch ein Mal zu sehen. Ich hoffte, dass meine Neugierde und meine Sehnsucht uns nicht noch mehr in Schwierigkeiten bringen würden. Daran wollte ich nicht denken. Die Aussicht, für immer von ihm getrennt zu werden, erschien mir schlimmer als alles andere.
Als ich am See ankam, lag dieser ruhig und dunkelblau schimmernd im hellen Mondlicht. Die Farbe erinnerte mich an das Blau von Calums Augen, wenn er glücklich war. Erst nach einer Weile fiel mir auf, wie unnatürlich still es war. Kein Vogel zwitscherte, keine Blätter raschelten. Der Wind, der seit Tagen übers Land fuhr, hatte sich gelegt. Es war, als würden Zeit und Raum stillstehen. Was hatte ich mir dabei gedacht, hierherzukommen? Zur Umkehr war es zu spät. Die Eiseskälte der Nacht griff nach meinem Körper, als in diesem Moment das Wasser zu sprudeln begann. Nein, das traf es nicht ganz, es begann zu kochen. Es trat über die Ufer, so dass der

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