Mondspiel: Novelle (German Edition)
wenn Vivian und ihre Freunde zusammenkamen, wurde dieser Singsang angestimmt. Jessica zwang sich, durch den Flur zu laufen, obwohl ihr davor graute, in ihre Nähe zu
kommen, aber sie musste unbedingt Taras Lieblingsdecke finden. Andernfalls würde Tara niemals einschlafen. Ihr Herz klopfte, und ihr Mund war trocken. Vivians Freunde jagten ihr Angst ein, mit ihrem verschlagenen, anzüglichen Grinsen, ihren schwarzen Kerzen und ihren wüsten Orgien. Jessica wusste, dass sie vorgaben, Satan anzubeten. Sie redeten unaufhörlich über Gelüste und religiöse Bräuche, doch keiner von ihnen wusste wirklich, wovon sie sprachen. Sie dachten sich das alles aus, wie es ihnen gerade in den Sinn kam, und sie taten genau das, was ihnen Spaß machte, wobei jeder versuchte, die anderen zu überbieten und sich noch empörendere und abartigere sexuelle Rituale einfallen zu lassen.
Als Jessica am Wohnzimmer vorbeikam, warf sie einen Blick hinein. Vor den Fenstern waren die schweren, schwarzen Vorhänge zugezogen und überall brannten Kerzen. Vivian, die auf einem Sofa saß, blickte auf. Sie war von der Taille aufwärts entblößt und trank Wein, während ein Mann hungrig an ihren Brüsten saugte. Eine andere Frau war vollständig nackt und von etlichen Männern umgeben, die sie berührten und dabei gierig grunzten. Der Anblick war Jessica peinlich und machte sie krank, und sie wandte schnell den Blick ab.
»Jessica!« Vivians Stimme war gebieterisch, die einer Königin, die sich an ein Bauernmädchen wendet. »Komm rein.«
Jessica konnte den Wahnsinn in Vivians gerötetem Gesicht und in ihren harten Augen sehen, die übermäßig glänzten, und sie hörte ihn in ihrem lauten, spröden Lachen. Sie rang sich ein mattes Lächeln ab. »Tut mir leid, Mrs. Wentworth, aber ich muss gleich wieder zu Tara zurückgehen.« Sie blieb nicht stehen.
Eine Hand packte hart ihre Schulter und eine andere wurde so fest auf ihren Mund gepresst, dass es brannte. Jessica wurde ins Wohnzimmer gezerrt. Sie konnte denjenigen, der sie festhielt, nicht sehen, aber er war groß und sehr kräftig. Sie schlug
wüst um sich, doch er ließ sie nicht los, sondern lachte und rief Vivian zu, sie solle die Tür abschließen.
Sie spürte seinen heißen Atem an ihrem Ohr. »Bist du die goldige kleine Jungfrau, mit der Vivian uns ständig lockt? Ist das deine süße kleine Belohnung, Viv?«
Vivians Kichern war schrill und klang irrsinnig. »Dillons kleine Prinzessin.« Ihre Worte waren nur undeutlich zu verstehen, als sie Jessica und den Mann, der sie ins Zimmer gezogen hatte, mehrfach umkreiste. »Meint ihr, er hat sie schon gehabt?« Ein langer, spitzer Fingernagel fuhr über Jessicas Wange. »Du wirst solchen Spaß mit uns haben, kleine Jessica.« Sie veranstaltete einen großen Wirbel darum, noch mehr Kerzen und Räucherstäbchen anzuzünden, ließ sich Zeit dabei und summte leise vor sich hin. »Kleb ihr den Mund gut zu, sonst schreit sie.« Kaum hatte sie den Befehl erteilt, nahm sie ihr Summen wieder auf. Zwischendurch küsste sie einen der Männer, die Jessica mit gierigen, glühenden Augen anstarrten. Jessica wehrte sich und biss in die Hand, die auf ihren Mund gepresst war. Ein Schrei des Entsetzens stieg in ihr auf. Sie konnte sich selbst in ihrem Kopf schreien hören, immer wieder, doch kein Laut kam hervor.
Sie wehrte sich und wälzte sich herum und die Geräusche abscheulichen Gelächters verklangen zu einem verängstigten Weinen. Als sie vollständig wach wurde, schluchzte sie unbeherrscht. Sie presste das Kissen fester auf ihr Gesicht, um die Laute zu ersticken, und stellte erleichtert fest, dass sie nur einen Alptraum gehabt hatte und dass es ihr gelungen war, daraus zu erwachen.
Ganz langsam setzte sie sich auf und sah sich in dem großen, freundlichen Zimmer um. Es war kalt, erstaunlich kalt sogar, wenn man bedachte, dass Paul die Heizung angeschaltet hatte, um die Kälte zu vertreiben. Sie
strich sich ihr langes Haar aus dem Gesicht, während sie auf der Bettkante saß, ihr die Tränen über das Gesicht strömten und sie das Entsetzen in ihrem Mund schmeckte. Sie war nicht nur auf die Insel zurückgekehrt, um die Kinder in Sicherheit zu bringen. Sie hatte die Hoffnung gehegt, sie alle würden ihren inneren Frieden finden – sie selbst, Dillon und die Kinder. Jessica rieb sich die Wangen und wischte resolut die Tränen aus ihrem Gesicht. Stattdessen wurden die Alpträume noch schlimmer. Dillon war nicht mehr der Mann, den sie vor sieben
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