Mondspiel: Novelle (German Edition)
ihnen abzuschwächen. »Zieh die Krallen ein.« Es belustigte und freute ihn, wie glühend sie seine Kinder in Schutz nahm.
Jessica sah die Zwillinge finster an. Beide wichen unschuldig zurück, schüttelten gleichzeitig die Köpfe und
waren tief davon beeindruckt, dass ihr Vater den geheimen Spitznamen kannte, den sie Jessica gegeben hatten. »Ich habe es ihm nicht gesagt. Ehrlich«, fügte Trevor hinzu, als sie ihn weiterhin finster ansah. »Und er hat die Reißzähne nicht erwähnt.«
»Sie hat Reißzähne?«, fragte Dillon seinen Sohn mit hochgezogenen Augenbrauen. Er war ja so erleichtert, weil der Junge sich bei dem Sturz nicht verletzt hatte.
»Oh, ja«, antwortete Trevor. » Allerdings. Sie wachsen ihr von einem Augenblick zum anderen. Fürchte um dein Leben, wenn du dich mit uns anlegst.«
Dillon grinste plötzlich, und in den blauen Tiefen seiner Augen blitzte für einen flüchtigen Moment der Schalk auf. »Glaub mir, mein Sohn, das täte ich.«
Trevor stand vollkommen still da, denn die Gefühle, die ihn bei den Worten seines Vaters durchströmten, erschütterten ihn. Jessicas Hand streifte seine Schulter, um ihm stumm ihr Verständnis auszudrücken.
»Komm schon, Jessica, wir könnten ein bisschen Hilfe gebrauchen.« Dillon nahm ihren Arm und führte sie wie eine Gefangene ab. Er sah sich nach den Zwillingen um. »Wenn ihr beide ruhig sein könnt, dürft ihr mitkommen und zusehen. Brenda! Ich habe Arbeit für dich.«
Jessica schnitt Trevor hinter Dillons Rücken eine Grimasse, die die Kinder zum Lachen brachte, als Dillon sie ins Tonstudio schleifte.
»Arbeit?« Brenda streckte sich träge, als sie aufstand. »Das ist doch sicher nicht dein Ernst, Dillon. Ich habe seit Jahren nicht mehr gearbeitet. Die Vorstellung hat etwas Erschreckendes an sich.«
»Das schaffst du schon. Auf der Treppe ist Öl, eine Menge Öl. Es muss aufgewischt werden, weil die Treppe
sonst gefährlich ist. Da ich mein Personal fortgeschickt habe und wir alle einspringen, ist das deine Aufgabe für den heutigen Tag.«
Brenda riss schockiert die Augen auf. »Das meinst du doch nicht ernst, Dillon.Was hast du dir überhaupt dabei gedacht, deinem Personal freizugeben?«
»Dass die Leute Weihnachten bei ihren Familien verbringen wollen«, log Dillon. In Wahrheit hatte er keine Zeugen für seinen Misserfolg gewollt, denn ihm graute vor dem gewagten Unterfangen, mit der Band zu arbeiten. »Du wusstest doch, dass kein Personal da ist und dass wir arbeiten würden. Du hast dich einverstanden erklärt, bei der Hausarbeit mitzuhelfen, wenn ich dir erlaube mitzukommen.«
»Ja klar, im Bad die Handtücher aufschütteln, das schon, aber doch keine Schweinerei auf der Treppe beseitigen. Du«, sagte sie und deutete auf Tara, »könntest diese Kleinigkeit gewiss übernehmen.«
Bevor Tara etwas darauf erwidern konnte, schüttelte Dillon den Kopf. »Los, Brenda, mach schon. Tara und Trevor, setzt euch dort drüben hin. Jessica, sieh dir die Notensätze an und hör in die Aufnahmen rein. Sag mir, ob du dir einen Reim darauf machen kannst. Ich stehe kurz davor, mir die Haare auszureißen.« Er zog Jessica zu einem Stuhl und presste seine Hände auf ihre Schultern, bis sie saß. »Es ist ein Alptraum.«
Jessica blickte auf die Noten hinunter. Es war deutlich zu erkennen, dass Dillons Feinmotorik gelitten hatte, denn seine Notenschrift war ein kaum leserliches Gekrakel. Sie verbrachte eine Stunde damit, sich Dillons Notensätze anzusehen und in die Tonspuren hineinzuhören, die er bereits aufgenommen hatte. Das Problem war, dass
die Bandmitglieder in ihren Köpfen nicht dasselbe hörten wie Dillon. Don war kein Leadgitarrist; seine Begabung lag im geschickten Umgang mit dem Bass. Für Jessica stand fest, dass die Band einen Leadgitarristen brauchte, aber sie war nicht sicher, wer Dillons Musik so spielen könnte, wie er sie gespielt haben wollte. Die meisten Musiker waren eitel. Keiner würde sich von Dillon sagen lassen, wie er zu spielen hatte.
Sie sah, dass alles wieder ins Stocken geraten war. Brian schnitt ihr durch die Glasscheibe eine Grimasse. Paul sah sie mit besorgtem Gesichtsausdruck kopfschüttelnd an. Dillon lief unruhig auf und ab und füllte das Studio mit der Brillanz seines Genies aus, in die zunehmende Frustration und Ungeduld einflossen.
»Warum kann es bloß keiner von euch hören?« Dillon schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn und stürmte zu der Gitarre, die an der Wand lehnte. »Was ist denn so schwierig
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