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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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schweigen.
    »Peter, kannst du ein Geheimnis behalten?«
    Er sah mich überrascht an.
    »Warum fragst du?«

    »Bringst du das fertig, ja oder nein?«
    »Es kommt darauf an. Aber ich denke schon …«
    »Du musst schwören!«
    »Schwören?« Er zögerte. »Ich… ich weiß nicht, ob ich das kann.«
    »Wenn du nicht schwörst, kann ich dir auch nichts sagen.«
    Er wurde plötzlich sehr aufmerksam.
    »Du weißt mehr als ich! Das steht dir ins Gesicht geschrieben.«
    »Das ist eben mein Geheimnis.«
    »Geht es um Giovanni?«
    Ich machte ein bejahendes Zeichen, trank Schluck auf Schluck. Mich fror es richtig im Bauch. Peters Augen trübten sich, vielleicht war auch nur seine Brille beschlagen. Auf seiner Lippe perlten Schweißtropfen.
    »Ich will es wissen, Alessa. Bitte, sag es mir…«
    »Dann schwöre!«
    Er hob die Hand.
    »Also gut. Ehrenwort!«
    »Nein. Du musst sagen: Ich schwöre es im Namen der schlafenden Göttin!«
    Er erwiderte entgeistert meinen Blick.
    »Wir sind über das Alter hinaus! Wenn ich dir doch mein Ehrenwort gebe…«
    »Nein, das genügt nicht! Du musst schwören!«
    Wir nahmen unseren Geheimbund sehr ernst. Kinder sind voller Fantasie, aber mit einer strengen Einfachheit der Gedanken – was für ein Gegensatz! Jetzt waren wir älter, aber noch nicht alt genug, um abgebrüht zu sein. Noch konnten wir unsere frühere Welt nicht belächeln.
    »Dann also …« Peter hob die Hand und räusperte sich. »Ich schwöre es im Namen der schlafenden Göttin!«
    Er hatte es gesagt. Jetzt konnte ich nicht mehr kneifen. Jetzt musste ich reden, obwohl ich kaum denken konnte und überhaupt
nicht wusste, welches Wort das richtige war und welches das falsche.
    »Peter, hör zu. Diese Sache mit Giovanni, die stimmt nicht. Es ist alles ganz anders!«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Von Giovanni.«
    Er kniff die Augen zusammen.
    »Hast du ihn gesehen? Wann denn?«
    »Heute Morgen … Er hat die halbe Nacht bei uns im Garten verbracht. Unter der Treppe, wo die Mülleimer stehen …«
    Peter zuckte zusammen, sein Mund stand leicht offen.
    »Was hat er gesagt?«
    »Dass er den Onkel verprügelt hat. Und dass die Polizei ihn sucht. Aber die Geschichte, die alle so felsenfest glauben, die ist überhaupt nicht wahr!«
    Ich sagte es ebenso zu mir wie zu Peter, wobei ich unwillkürlich die Stimme senkte. Und auch Peter sah sich erschrocken um, ob jemand das Gespräch belauschte. Aber wir saßen an einem Tisch abseits, keiner hörte zu. Ich hatte immer noch keine Ahnung, wie ich ihm das alles erklären konnte; bei dem bloßen Gedanken wurde es mir angst und bange. Aber es war falsch, eine Ungerechtigkeit zu akzeptieren, sich davon demütigen zu lassen. Giovanni spielte nicht das Opfer, Giovanni war das Opfer. Ach, was hatten ihm die Erwachsenen in ihrer Blindheit angetan!
    Ich dachte, ich konnte nicht darüber reden, jedenfalls nicht so, dass Peter es verstehen würde. Und trotzdem gelang es mir, die schreckliche Wahrheit in Sätze zu formen. Und gleichzeitig wusste ich, wie unerträglich diese Worte für Peter sein mochten. Sein Ausdruck spiegelte seine Gedanken, er dachte an Don Antonino, an die Wirkung, die er auf Giovannis Leben hatte. Er war mit der Religion groß geworden, hatte den Respekt vor jeder Soutane mit der Muttermilch eingesogen. Man hatte ihm schon in der Wiege beigebracht, die Hände zu falten
und zu beten. Er hatte seine Erstkommunion im Sonnenstaub gemacht, das Gesicht zum vergoldeten Altar erhoben, ein warmer rosa Schein auf den kindlichen Wangen, während aus der Orgel das prachtvolle Gewebe ewigen Lobpreises brauste und die lieblichen Stimmen der Chorknaben das Muster der Verehrung vollkommen machten. Nie hatte er in dem ganzen Pomp eine Karikatur erblickt, eine Farce. Der Priester war unantastbar. Man begegnete ihm mit Ehrfurcht, im schlimmsten Fall mit Katzbuckelei. Armer, lieber Peter, dachte ich, die Welt bricht für dich zusammen, das Wichtigste ist immer die Gerechtigkeit, wichtiger als alles andere, für dich auch, Peter, nicht wahr? Sag, dass du mich verstehst!
    »Vergewaltigt?«, flüsterte er.
    Mich schauderte, ein schweres Gefühl, halb Ohnmacht, halb Schmerz. Aber ich redete jetzt, redete wie ein Wasserfall.
    »Ja, genau das war es! Er zeigte Giovanni Schundhefte, und die waren mit Blut befleckt. Weil er die Bilder ansah und sich dabei schlug, verstehst du? Und weil er nicht wollte, dass das Blut auf den Boden tropfte. Aber Giovanni hat nicht mit sich machen lassen, was Don Antonino

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