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Mondtaenzerin

Mondtaenzerin

Titel: Mondtaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederica de Cesco
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Art.
    »Verstehst du, das würde die ganze Sache noch schlimmer machen. Stell dir mal den Skandal vor! Und noch dazu drei Tage vor Schulanfang.«
    Ein Schweigen folgte. Ich war von Natur aus sachlich, aber jetzt wusste ich nicht mehr, was ich sagen sollte. Die Gesellschaft bestand aus Namen und Gestalten, eine erstarrte Welt des Nichthörens, des Nichtsehens, eine geschlossene Welt der Heuchelei. Die Gesellschaft kehrte die Außenseite heraus, wies jeden ab, der nicht dazugehörte. Von Giovanni wurde erwartet, dass er da blieb, wo er geboren wurde, zwischen Schweinestall und Jauchegrube. Und wenn er später zum Dealer verkam, sich Kokainbällchen in den Anus stopfte, nun, das war ja vorauszusehen. Das hätte sich geändert, gewiss, sobald er Priester war, da stand er unter Obedienz, und die Vergangenheit war ausgelöscht. Doch bis dahin hatte er zu kuschen. Gab er Anlass zu einem Verdacht, fiel man zeternd über den Eindringling her, der die Gesellschaft in ihren Gewohnheiten störte. Verachtung und Ekel überkamen mich.
    »Alles Blödsinn, Peter! Wir können Giovanni nicht allein lassen! Es wäre … es wäre nicht richtig!«
    Er nickte wortlos, wie geistesabwesend. Mir kamen beinahe die Tränen.
    »Der Kommissar … na ja, ich verstehe schon! Aber auf wen ist Verlass?«
    Als Peter endlich antwortete, brach es ihm fast die Stimme. Er hustete seine Verlegenheit fort.
    »Ich glaube, da ist vielleicht jemand, der helfen könnte. Wir müssen uns nur trauen, ihn zu fragen.«

    »Wen, Peter? Wen meinst du? Mir fällt niemand ein!«
    Immer noch zauderte er, starrte vor sich hin, als ob er vor den eigenen Gedanken zurückschreckte. Ich aber fühlte, dass ich wieder stark wurde. Ja, meine Hände schienen mir stark genug, diese verlogene Welt in Stücke zu reißen. Wenn ich nur etwas Hilfe hatte – oder etwas, das dem gleichkam.
    »An wen denkst du? Los, Peter, nun rede doch! Hast du einen Namen im Kopf?«
    Peter schien sich einen inneren Ruck zu geben. Er trank hastig sein Wasser aus, verschluckte sich, fuhr mit dem Handrücken über die nassen Lippen. Sein Gesicht wurde wieder klar.
    »Ja, Fra Beato«, sagte er.
    Damals vertrauten wir noch der Religion, sie entsprach auch unseren emotionellen Vorstellungen, waren wir doch in ihrem Bannkreis aufgewachsen. Die Religion hütete ihr Geheimnis im Dunkel der Jahrtausende. Nichts hatte mich darauf vorbereitet, dass Peter, der ruhige, konforme Peter, sich als fähig erwiesen hätte, dieser geheimen Welt die Stirn zu bieten. Wir hatten es hier mit einer Sache zu tun, wie sie unklarer, dunkler und grauenvoller nicht sein konnte. Vor dieser Finsternis schreckten die Erwachsenen zurück. Um Gottes willen, nichts sagen, nicht einmal daran denken! Peter jedoch, der sich im Klaren war, dass all dies viel mehr mit ihm selbst zu tun hatte als mit mir, ging das Wagnis ein. Man hatte stets von ihm erwartet, dass er gefasst und höflich blieb, nie ein Wort lauter als das andere, und ja nicht fluchen oder widerborstig sein, auch wenn es ihm zum Heulen oder zum Toben zumute war. Und jetzt forderte irgendetwas in ihm, dass er Aufruhr machte, über seine Grenzen hinausging. Auch Peter würde kämpfen. Und es war ihm völlig gleich, ob er seine Zukunft dabei aufs Spiel setzte.
    »Wie kommst du auf Fra Beato?«, brach ich das lastende Schweigen.

    Er runzelte die Stirn, die hoch und glatt war, mit einer sichtbaren Vene zwischen den Brauen.
    »Als wir Fra Beato besuchten, da glaube ich irgendwie begriffen zu haben, dass er anders dachte. Vielleicht bilde ich mir das nur ein, und er wird schrecklich böse auf uns sein und es den Eltern sagen…«, setzte er ganz kläglich hinzu.
    »Warum glaubst du, dass er anders denkt?«, fragte ich.
    Peter fuhr mit der Zunge über die Lippen.
    »Als wir ihn besuchten, hat er zu Giovanni gesagt, dass er ein guter Priester sein würde. Er hat das nicht einfach nur so gesagt, wie das die Erwachsenen sagen. Er meinte es ernst. Er wird sich an Giovanni erinnern, ganz sicher.«
    »Ja, ist er denn in Valletta?«, fragte ich.
    »Ich habe gestern noch an ihn gedacht, weil ich die Fahne sah.«
    »Ach so, ja, ja, die Fahne…«
    Unsere Augen begegneten sich. Die seinen, leicht gerötet, schwammen in dem halben Licht der Sonne.
    »Willst du ihn anrufen?«
    Seine Augen zogen sich zusammen. Er überlegte.
    »Ich würde es sofort tun. Aber sein Name steht nicht im Telefonbuch. Und ich weiß nicht, wen ich fragen kann.«
    Mir fiel etwas ein.
    »Du, ich glaube, mein Vater hat

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